Ruhe. Das strahlte diese Kathedrale der alten Zeit aus. Ich war nur durch Zufall vor ihr gelandet und doch zog sie mich wie magisch an.
Mein Kurs war zurzeit auf einer Exkursion in der ältesten Stadt unserer Welt. Im Moment stromerte ich alleine durch die Stadt, ohne genaues Ziel vor Augen, als ich plötzlich vor einer Kathedrale landete. Diese wirkte trotz ihrer recht beachtlichen Größe recht unscheinbar. Einer Eingebung folgend betrat ich sie. Ganz verloren im Anblick der Malereien an der Decke, bemerkte ich fast nicht, wie jemand neben mich trat, bis dieser mich ansprach.
„Schön, nicht wahr?“ Er hatte eine angenehme, ruhige Stimme. Noch im Anblick versunken antwortete ich intuitiv mit ehrfürchtiger Stimme.
„Ja, das ist es.“ Mein Blick fiel auf den Fremden. Dieser blickte wie ich zuvor an die Decke. Als hätte er meinen Blick bemerkt, wendete er sich mir zu und lächelte mich freundlich an. Wir blieben nebeneinander stehen, beide in unseren Gedanken versunken. Meine kreisten um den Abschluss und meine Zukunft danach. Was sollte aus mir werden? Mein Blick fiel auf den Fremden. Wusste er, was er mit seinem Leben anfangen sollte? Mich überkam der Wunsch, mich dem Fremden zu öffnen und so erzählte ich ihm von meiner Familien und den Erwartungen und Hoffnungen, die sie in mich setzten, aber auch von meinen Träumen und Wünschen. Als ich fertig war, herrschte kurz Stille, bis der Fremde das Wort ergriff:
„Lass mich dir eine Geschichte erzählen. Danach fällt es dir bestimmt leichter, eine Entscheidung zu treffen.“
Seine Geschichte handelte von jemandem, der an sich und seiner Aufgabe zu zweifeln begann. Er hatte sich verloren, nur um sich selbst zu finden auf einem neuen Weg. Nachdem er geendet hatte, verfielen wir in Schweigen.
„Sie denken also, ich sollte es machen?“, fragte ich ihn zögernd nach einiger Zeit und blickte ihm in die Augen. Er antwortete:
„Es ist deine eigene Entscheidung. Niemand kann dir sagen, was die richtige Entscheidung ist, außer dir selbst.“
Später am Abend saß ich auf der Fensterbank des Hotelzimmers und blickte in die Ferne, meine Gedanken bei dem Fremden. Ich wollte meine Familie nicht verlieren und meine Eltern stolz machen. Doch konnte ich damit leben, vielleicht nie glücklich zu werden? Würde ich meine Familie verlieren, wenn ich das täte, was mich wirklich glücklich machte? Es war eine Wahl, die ich nicht treffen wollte.
In den nächsten Tagen landete ich immer wieder bei der Kathedrale auf der Suche nach dem Fremden. Doch tauchte dieser dort nicht mehr auf. Am letzten Tag der Fahrt machte ich mich noch einmal auf den Weg zur Kathedrale. Ich trat ein und mein Blick wanderte zu dem Ort, an dem ich den Fremden getroffen hatte und da war er. Ich beschleunigte meine Schritte und blieb schließlich neben ihm stehen.
„Ich habe meine Entscheidung getroffen“, sagte ich ruhig. „Ich werde meinem Herzen folgen.“
© Ann-Christin Bayer 2022-08-28