Abstand halten

MiaMac

von MiaMac

Story

Noch nie waren wir so isoliert und doch einander so nah. Der Frau in der Schlange vor der Supermarkttür geht es wie mir – sie versucht, die Gesichtsmaske richtig aufzusetzen und kaum schafft sie es, laufen auch schon ihre Brillen an. Sie schiebt die Maske etwas weiter zum Kinn, und merkt nicht, dass die entstandenen Spalten bei der Nase eigentlich die Maske überflüssig machen. Ich reinige mit einem Tuch und Desinfektionsmittel den Einkaufswagen und warte geduldig, bis ich eingelassen werde. Obwohl ich versuche, in den schmalen Gängen niemanden zu nah zu kommen, fühle ich mich irgendwie mit all diesen schwer atmenden Maskenträgern verbunden. Meine Hände schwitzen in den Einweghandschuhen, die prompt am Etikett der Bananen kleben bleiben. Ich ziehe sie vorsichtig von einer Banane ab und sogleich kleben sie an der nächsten. Ich merke, dass die Augen über der Maske auf der anderen Seite des Ganges lächeln – ja, ein unmissverständliches Kichern ertönt. Ich grinse zurück, aber der andere kann es nicht sehen. Ich schiebe meinen Wagen an einer Kassa vorbei und möchte durch eine Abstandlücke fahren – da ertönt hinter einer Maske eines älteren Herrn ein bedrohliches Knurren – Worte lassen sich ja kaum formulieren. Nein, ich wollte ihn nicht überholen und deute übertrieben höflich nach vorne. Er grunzt zufrieden, das Knurren hat gewirkt. Jetzt muss ich kichern und bin froh, dass die Maske es versteckt.

Draußen angekommen, fühle ich mich in der Frühlingssonne richtig erlöst. Zuhause reinige ich jedes Stück einzeln mit Desinfektionsmittel, das Einräumen dauert eine Stunde und kaum lasse ich mich erschöpft auf die Couch fallen und genieße einen Kaffee, läutet auch schon das Telefon. Mehrmals am Tag melden sich Menschen, die ich sonst nicht oft höre oder ich rufe an, die wochenlange Isolation macht sich bei vielen bemerkbar. Zwei Anrufe am Tag, das ist mein Vorsatz und oft werden es mehr. Die Gespräche beginnen meist mit der Frage, wie es einem geht und dem ehrlichen Interesse an der Antwort. Aber es gibt auch Menschen, die es schaffen, ausschließlich über sich zu sprechen, ohne das geringste Interesse am Gesprächspartner. Die Krise scheint die Charaktereigenschaften zu verstärken, oder aber die Filter der Höflichkeit verlieren an Bedeutung. Und so knurren manche bedrohlich hinter ihren Masken, manche lächeln und viele versuchen, für den anderen da zu sein. Am Telefon, über Skype, durch kleine Botschaften oder Hilfsangebote. Netzwerke entstehen, Einkäufe werden geliefert und Essen geteilt. Und manchmal singt man aus den Balkonen in die Welt hinunter, denn wir befinden uns alle im selben Boot.

© MiaMac 2020-04-08