von Fleur Edelenbos
Ich weiß nicht, wie ich der Welt sagen soll, was ich empfinde, denke ich. Ich laufe durch Berlins Straßen. Die Nacht ist kühl. Man sollte meinen, dass der Himmel voller Sterne ist, doch wenn ich hochschaue, sehe ich nichts als helle Wolken auf einem dunklen Untergrund.
Die letzten Stunden waren schwer. Meine Gedanken fühlen sich an wie Stein. Steine in meinem Kopf. Steine auf meinen Schultern. Steine in meinem Herzen.
Berlin, denke ich. Wie hat diese Stadt die Menschen inspiriert. Die Stadt pulsiert, jede Minute. Tag für Tag. Wieso inspiriert die Stadt mich nicht? Wieso fühlt sich mein Leben an, wie eine Schreibblockade?
Schreiben. Ja, schreiben. Seitdem ich ein Kind war, träumte ich von nichts anderem. Ellenlange Regale voller Bücher. Kunstvoll aneinandergereihte Worte, die ansonsten kaum Sinn ergeben. Abstrakta bilden sich zu Luftschlössern in meinem Kopf. Und doch. Ich kann mich nicht in die Reihe von Literaten reihen. Ich laufe an ihnen entlang. Mensch für Mensch. Und am Ende, wenn ich selbst an der Reihe bin, werde ich von mir selbst betrogen und ich muss verschwinden. Verschwinden, wie die Gedanken, von denen ich glaube, dass ich sie zu Papier bringen sollte.
Ich könnte lügen und sagen, dass ich nur nie Stift und Papier bei mir habe, wenn mir eine gute Idee kommt. Doch haben die Menschen nicht seit ewigen Zeiten geschrieben? Haben die Menschen nicht immer einen Weg gefunden, sich mitzuteilen, auszudrücken? Doch mir bleibt es verwehrt.
Kinder. Familie. Wünsche, die ich nicht habe. Während ich durch die Straßen von Berlin irre, wünsche ich mir, dass meine Träume andere wären. Träume, die mir in den Schoß fallen, wo ich sie hüten und für sie sorgen kann. Ein ständiger Kampf gegen mich selbst, etwas zu sein, was ich nicht bin. Ein ständiger Kampf gegen mich selbst, etwas zu wollen, was ich nicht will. Ein ständiger Kampf gegen mich selbst, etwas zu sehen, was ich nicht greifen kann. Berlin. Berlin um mich herum. Die Stadt kommt mir klein vor, doch bin ich hier hingezogen, weil ich in die Großstadt wollte. Ich musste atmen. Immer dachte ich mir, dass ich bloß mehr Raum um mich haben muss, um kreativ zu sein. Um etwas zu erreichen. Um etwas zu werden. Und nun, denke ich mir, verbringe ich schon mein zweites Jahr in dieser Stadt und die Worte, die ich bereits geschrieben habe, kann ich an einer Hand abzählen. Vielleicht an zwei.
Abenteuer. Reisen. Absinth. Vielleicht muss ich mehr sein wie Hemingway. Vielleicht sollte ich in einen Krieg ziehen, der mich verändert. Doch eigentlich habe ich den Krieg jeden Tag bei mir, denn ich bin etwas, das ich nicht sein will. Absinth. Vielleicht sollte ich mehr trinken. Mehr trinken, um meine Sinne zu verlieren, die mir ansonsten heilig sind. Ängste überkommen mich, wenn ich sie verliere, wenn ich nicht Herr meiner selbst bin. Doch Absinth hat den Menschen immer geholfen. Hat nicht Van Gogh getrunken? Hat er sich nicht in menschliche Ausnahmezustände versetzt, indem er nur trank und nicht aß?
© Fleur Edelenbos 2023-05-01