An einem Januarmorgen

Florian Schinagl

von Florian Schinagl

Story

Da standen wir nun – Seite an Seite. Eine Reihe rechts der Kirchentüre. Eine Reihe links der Kirchentüre.

Die, die sonst große Reden schwangen, waren verstummt. Jene, von Natur aus schweigsamen, hüllten sich in Tränen.

Alle die ihn kannten, waren gekommen. Und auch viele die ihn nicht gekannt hatten, waren trotzdem gekommen.

Es war ein kalter Tag im Januar, wie es sie oft gab. Tage wie aus einem Katalog. Die Sonne schien vom einem glasklaren Himmel, nur der Dampf unseres Atems erfüllte die kalte Luft. Eigentlich würde an diesem Tag ein jeder normale Mensch sich auf eine Skihütte wünschen. Im Liegestuhl liegen und den Blick über das Bergpanorama schweifen lassen.

Doch nach diesem touristischen Idyll aus dem Reiseprospekt war keinem von uns zumute. Es war eine Woche vergangen.

Der Schock, die Fassungslosigkeit. All das war noch omnipräsent.

Wir blickten einander an. Unschlüssig was wir tun sollten. Keiner von uns wusste wirklich was zu tun wäre, in dieser Situation. Normalerweise standen wir auch nicht so eng beieinander. Höchstens beim Fototermin oder wenn die S-Bahn mal wieder überfüllt war.

Dann fingen die Glocken an zu läuten. Es waren keine großen Glocken. Es waren kleine Glocken, deren zarter Klang durch das beschauliche Wohngebiet schallte. Ihr Klang reichte gewiss nicht weit. Vielleicht zwei, drei Straßen weit. Spätestens an der Hauptstraße wird ihr Schall verklingen.

Dann kam er heraus. Getragen von seiner Mutter.

Bis heute weiß ich nicht, wie sie in dieser Situation so stark wirken konnte. Denn ich fühlte mich der Situation nicht gewachsen. Hilflos, das war das einzig treffende Wort, das meinen Handlungsspielraum beschreiben konnte. Als ich vor ihr in der Kirche stand, da fühlte ich mich machtlos. Sprachlos. Mehr als ein “Mein Beileid“ brachte ich nicht hervor.

Ich blickte starr auf dieses Gefäß, in dem sich nun unser guter Freund befand. Es war surreal. Noch vor den Weihnachtsferien hatten wir Pläne geschmiedet. Was dieses letzte Schuljahr für uns alle bringen würde.

Diese Pläne waren mit ihm gegangen.

Der Zug ging schweigend an uns vorbei. Hinaus auf das Gräberfeld des Friedhofes. Wir konnten sein Grab vom Eingang aus gut einsehbar. Es war am äußersten Rand des Friedhofs. Mit Blick auf die Berge. Ein Postkartenmotiv.

Wir standen schweigend da. Die anderen Anwesenden schwiegen ebenso. Selbst die Hauptstraße in der Ferne schien zu schweigen. Selbst der Himmel schwieg.

Nur die Glocken erklangen.

© Florian Schinagl 2021-02-12

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