von Henrike Klehr
Dieses Jahr konnte man eigentlich in der Pfeife rauchen. Meine Mutter war an einem plötzlichen Aneurysma verstorben. Das Aneurysma selbst kam wahrscheinlich gar nicht so plötzlich, es war wohl schon länger da. Aber es hatte sich weder angekündigt, noch an ihre Tür geklopft. Und so stand es wahrscheinlich jahrlang vor Mamas Tür, hinter dem ihr Leben war, und wartete auf den Moment, an dem sie die Tür plötzlich und mit aller Wucht eintrat. Mama kippte um, auf offener Straße, gleich vor der Kodi-Filiale. Eine Woche im Krankenhaus, dann wurden Geräte ausgeschaltet. 11 Uhr 50, deutsche Zeit.
Wir feierten eine Gartenbeerdigung. Mama hatte sich im eine Beerdigung gewünscht, bei der man ihr zu Ehren feiern, bei der man tanzen und lachen sollte. Und so stand ich, mit Partyhut und Luftschlangen um den Hals hängend, bei strahlendem Sonnenschein und Super Trouper im Garten und heulte.
Bei der Feier war ein wildes Potpourri aus Leuten, die meine Mutter im Laufe ihres Lebens kennengelernt hatte. Unser Garten war zu klein. Mama war die kontaktfreudigste Person, die es gab. In Restaurants fragte sie grundsätzlich die Leute am Nebentisch, was sie hatten und ob das lecker war, verwickelte den Restaurantbesitzer in ein Gespräch über Udon-Nudeln und bekam das Essen am Ende “aufs Haus”. Sie redete mit dem Rossmann-Mitarbeiter über die Baustelle vor der Ladentür, sie verwickelte meine Lehrerin am Elternabend in ein Gespräch über ihre schönen Ohrringe, womit sie mir in Englisch immerhin noch eine 4- rausholte.
“Komm schon”, meinte Juli, “lass uns mal nach oben gehen.” “Okay”, brachte ich zwischen dem Schluchzen heraus. Oben in meinem Kinderzimmer ĂĽbten wir uns an Hampelmännern, denn auch wenn man vor seinen GefĂĽhlen nicht wegrennen konnte, konnte man sie manchmal doch wenigstens manchmal weg-hĂĽpfen. Juli befahl mir, 5 Dinge aufzuzählen, die ich sehe, und 5 Dinge, die ich höre, “um dich wieder im Jetzt zu verankern.“
Wir gingen wieder runter, die Gäste begrĂĽĂźen. Papa schlug sich wacker. Als Mamas TĂĽr vom Aneurysma eingetreten wurde, wurde Papas TĂĽr gleich mit eingetreten – nur irgendwie war er dabei nicht umgekippt. Papa hatte ein Bier in der Hand, er trank nicht viel, aber er trank. Weil auch das die Gravitationskraft des Herzens etwas minderte. Newton hin oder her.
Im Garten tönte Don’t Stop Believin’ aus der Bluetooth-Box, dann klingelte es.
Ein Polizist stand vor der TĂĽr:
“Ruhestörung“, sagte er und zog eine ĂĽberaus wichtige Miene.
“Hören Sie, das hier ist aber ein besonderer Anlass. Das ist eine Beerdigung”, sagte Papa, sein Bier in der Hand. Der Polizist schaute zwischen uns hindurch in die Wohnung und sah hinter uns die Luftschlangen, Partyhüte und die “Happy Birthday”-Girlande.
“Das ist doch im Leben keine Beerdigung”, sagte der Polizist.
Wir versprachen, die Musik leiser zu machen und luden den Polizisten, der Uwe hieĂź – in Gedenken an Mama – zum Kaffee ein.
© Henrike Klehr 2025-06-12