von Annalisa
Samstag. Ich wische mich durch die Profile. Anfangs habe ich das noch ernst genommen, jedes Profil genau gelesen. Wenn es dann zu einem der seltenen Matches kam, war es oft so, dass der Match schon wieder aufgelöst war, bevor ich nachsehen konnte, wer sich da überhaupt mein Profil angesehen hatte. Irgendwann habe ich das dann auch so gemacht. Fast swipe – links, links, links, rechts, links. Manchmal zu schnell nach links gewischt. Auch das habe ich inzwischen gelernt. Sie kommen alle wieder. Einmal falsch wischen – kein Problem.
Es sind in Wahrheit überall die gleichen Profile. Die gleichen Männer. Ich zweifle schon länger, ob das überhaupt noch sinnvoll ist. Aber dann siegt die Vorstellung: Wenn ich das mache – und ich halte mich für relativ normal – dann muss das ja auch irgendwann mal die Person machen, die zu mir passt. Ich müsse einfach nur geduldig sein, der richtige Mann wird schon irgendwann auftauchen.
Ich wische also weiter. Bingo! Ein hübsches Profil. Mir gefallen seine Bilder. Der Text ist spärlich, aber immerhin schreibt er ganze Sätze. Ein guter Anfang. Der Match ist zwei Nachrichten später noch immer da. Wir vereinbaren ein Treffen und tauschen unsere Telefonnummern aus.
Sonntag. Ich warte am Treffpunkt, einem Denkmal des österreichischen Widerstands, sehe ihn aber nicht. Pünktlich um 18 Uhr löst er sich aus der Menge und steht vor mir. Ich bin überrascht. Ich habe ihn nicht kommen sehen. Und ich hätte ihn auch nicht erkannt. Er sieht gut aus, aber komplett anders als auf den Bildern.
Wir spazieren durch die laue Nacht und unterhalten uns angeregt. Tatsächlich habe ich mich schon sehr lange nicht mehr so gut unterhalten. Er ist extrem zuvorkommend. Er spricht leicht tirolerisch, aber typisch für Innsbrucker, sehr gut verständlich. Trotz allem bin ich etwas vorsichtig, denn mir ist das schon einige Male passiert, dass es am Ende trotzdem nur darum ging, mich ins Bett zu bekommen.
Er erzählt von seiner Arbeit als Pharmazeut, seinen Kindern, besonders stolz von seinem Sohn, der in seine Fußstapfen tritt; seinen Hobbys.  Von seiner Zeit bei den Gebirgsjägern. Seinem Bibelstudium. Er gibt mir das Gefühl, es interessiert ihn, was ich ihm erzähle. Wir sprechen über Sport, übers Laufen, Wandern, Radfahren. Von Problemen mit alten Sportverletzungen. Er hört mir zu. Wort um Wort, Schritt für Schritt baue ich Vertrauen auf. Wir trinken noch etwas gemeinsam, er zahlt. Ich bin beeindruckt, denn es ist schon sehr lange her, dass mich ein Mann eingeladen hat, und wenn es nur ein Getränk ist. Es ist inzwischen oft üblich, dass die Männer die Frau zahlen lassen und das als Test sehen. Wir wollen uns ein paar Tage später zum Spazieren treffen.
© Annalisa 2025-03-22