Das Pferd

Hector

von Hector

Story

Ich sang den ganzen Weg, den Cup Song („I’ve got my ticket for the long way ‚round“), ich schmetterte, bloß keine Angst zeigen, keine Unsicherheit, das merkt das Pferd. Die Stute machte ihre Sache gut. Zwei Seitensprünge, ich wäre fast im Feld gelandet, aber ich blieb oben. 

Zurück von diesem Ausflug, der wohl mehr eine Prüfung war, für sie und für mich, die wir einem unwirschen Dank als „Bestanden“ verbuchten, sattelte ich ab und wünschte ihr eine gute Reise. 

Von da an setzte ich mich auf jedes Pferd. Ich fiel nicht oft. Schmerzlich wurde mir jedoch von Mal zu Mal bewusst, dass kein Pferd, das einen Sattel erträgt, noch einen intakten Willen hat. Damit das Pferd den Mensch über sich ergehen lässt, muss man seinen Willen brechen. 

Man fängt sanft an. Hält sich in der Nähe auf, beachtet das Tier nicht, liest, gräbt den Paddock um, lungert auf der Wiese.

Irgendwann kommt es angeschlichen, was will dieses verwachsene Etwas auf meiner Weide, und flehmt aus der Ferne, schnuppert. 

Zeitsprung. Aufgesattelt. Das Pferd tobt, was ist das für eine Scheiße, eben warst Du doch noch mein Freund, hast mir Geheimnisse mit beruhigender Stimme ins Ohr geflüstert, ich hab mich sicher gefühlt, und jetzt kommst du mit dieser ledergewordenen Zwangsjacke, es tobt und tobt, ich in sicherem Abstand. 

Sobald es sich etwas beruhigt, kommt der Sattel ab. So geht es tagelang, wenn nicht Wochen. Das Pferd lernt: hier komm ich nicht mehr raus. Miese Nummer. Das Pferd lernt: Dieser Mensch da ist beides: Freund, der füttert, und Feind, der einzwängt. Am letzten Tag trottet es nur noch träge im Kreis, die Rebellion ist ihm langweilig geworden. Oder hat eh keinen Sinn. 

An diesem Tag, so fühlte ich, ändert sich etwas im Blick der Pferdeaugen. Da ist nicht mehr der stolze, pubertierende Warmblüter. Ein Tier, alt wie der Mensch, und der Mensch hat es sich zu eigen gemacht. Aufsteigen, raufsetzen, Richtung und Tempo vorgeben. Bestimmen, wann es losgeht und wann Schluss ist. Die Pferdeaugen strahlen, wenn auch nur minimal, weniger Wollen und mehr Müssen aus. 

Ich habe mich seit diesen Gedanken auf kein Pferd mehr gesetzt. 




© Hector 2023-07-23

Genres
Biografien
Stimmung
Abenteuerlich, Dunkel, Emotional, Informativ, Traurig