Dein Opa

Espe

von Espe

Story

Ich weiß noch, als ich deinen Opa zum ersten Mal gesehen habe. Sein verschmitztes, aber doch so warmherziges Lächeln kannte ich nur zu gut. Von dir. Ich weiß noch als wir zum ersten Mal zu dritt Mittagessen gegangen sind. Es war ein kleines Restaurant an einer belebten Straße in Lima. Es gab typische Gerichte und ich habe sogar ein vegetarisches für mich gefunden. Ich weiß nicht mehr, worüber wir uns noch so unterhalten haben, außer die peruanische Küche. Ich glaube, wir haben über deine Familie gesprochen, deine Oma, deine Tanten und Cousinen. Darüber, wie unsere lange Anreise verlaufen ist und wie wir uns (wieder, in deinem Fall) eingewöhnt haben.

In unseren insgesamt drei Monaten in Peru waren wir noch oft bei deinen Großeltern. Wir haben zusammen Ausflüge gemacht, Restaurants am Hafen besucht und einmal auch bei ihnen übernachtet. In dieser Nacht gab es offenbar ein Erdbeben, von dem ich im Schlaf rein gar nichts mitbekommen habe. Immer wenn wir wieder irgendwo hin gereist sind, in die Anden, in den Amazonas und andere Orte, haben wir deinen Großeltern die Bilder auf der Kamera gezeigt. Und sie haben uns danach ihre Bilder gezeigt, zum Beispiel von ihren Urlauben in der Karibik. Mit deiner Oma habe ich gekocht und mich bemüht, mich nicht ganz dumm beim Kartoffelschälen anzustellen – zuhause schäle ich Kartoffeln schließlich nie. Ich glaube, du hast mit deinem Opa währenddessen irgendwelche alten Kassetten mit Filmen von deinen Jugendcamps gesucht. Ich habe mich zu dieser Zeit wirklich schon als Teil deiner Familie gefühlt.

An einem unserer letzten gemeinsamen Abende hat dein Opa mich gefragt, wann ich Geburtstag habe. Dann hat er ein kleines Büchlein und einen Stift geholt und sich wieder zu uns an den Esstisch gesetzt. Ich war gerührt als ich sah, dass er meinen Geburtstag in sein Familienbüchlein eintrug. Noch heute frage ich mich, ob ich und mein Geburtstag immer noch in diesem Büchlein stehen. Ich musste seltsamerweise daran denken zu der Zeit als wir uns, vier Jahre später, trennten. Ich musste daran denken als du, wenig später, schon eine neue Freundin hattest. Auch wenn es mich immer noch traurig macht, dass du nach fast sechs Jahren aus meinem Leben verschwunden bist – manchmal denke ich noch an deinen Opa und sein Büchlein. Und ich denke: Dort drin stehe ich, nicht sie. Oder hat er es vielleicht schon geändert?

© Espe 2022-07-13

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