Die Karten lügen nie?

Elli empfing ihre ältere Schwester Helene in der neuen, geschmackvoll eingerichteten Wohnung. Als Esoterikerin war sie sehr erfolgreich, konnte ausgezeichnet davon leben.

Helene freute sich nach dem Arbeiten auf ein nettes Gespräch. Der Tee duftete, die Tarotkarten lagen bereit. Die Ältere lehnte dezidiert die Weissagungen ab und fragte nach dem eigentlichen Anlass für die Einladung. Die Jüngere zog eine Grimasse, legte die Karten beiseite. Sie musste nun einen anderen, geeigneten Einstieg ins Thema finden. Nach einer kurzen Pause erzählte sie von einem Besuch bei der Mutter, von einem langen, tiefsinnigen und herzzerreißenden Gespräch. Anschließend habe sie die Tochter gebeten, mit der Ältesten darüber zu reden, was sie hiermit tue.

„Weißt du, dass unsere Mutter eine sehr schöne und glückliche junge Frau war? Sie hat mir ein Foto gezeigt. Sie ist darauf kaum wiederzuerkennen, so schön ist sie. Sie hatte einen Freund, wollte heiraten, in eine angesehene Familie, sehr nette Leute. Das neue Haus war fast fertig gebaut. Sie hätte ein gutes Leben haben können. So furchtbar traurig!“ Tränen standen in ihren Ellis Augen. „Sie hat nie etwas darüber gesagt,“ erwiderte die Ältere erstaunt.

Elli setzte das Gespräch in einem deutlich härteren Ton fort: „Dann bist du gekommen und hast alles zerstört. Du bist schuldig, dass sie alles verloren hat. Danach hat keiner mehr mit ihr geredet. Sie musste das Dorf verlassen. Schau dir nur die Fotos aus dieser Zeit an!“

„Glaubst du, ich habe mir das ausgesucht?“ entrüstete sich Helene.

„Du hast es aber getan!“ Wütend legt die Jüngere die Tarotkarten auf den Tisch. „Da schau, die Karten sagen es auch! Mutter wird bald mit dir reden. Du gehörst nicht zu uns! Dein Vater kommt aus einer anderen Familie. Du wirst alles, was du von unseren Eltern bekommen hast, zurückgeben müssen. Du hättest für deine Wohnung Miete zahlen müssen. Wenn man das berücksichtigt, kannst du sofort ausziehen, wirst nichts mitnehmen können. Egal was unser Vater getan hat, wir stehen alle zu ihm und nicht zu dir. Du gehörst nicht zu unserer Familie!“

Helene war erschüttert. Ganz leise fragte sie: „Was ist mit einem Vaterschaftstest?“

„Nein, das ist nicht nötig!“ Ellis Stimme wurde immer lauter. „Die Mutter weiß es ganz genau. Die Karten haben ebenfalls eindeutig einen anderen als Vater bestätigt. Du gehörst nicht zu uns. Du bist schuldig am Unglück der ganzen Familie!“ Schockiert, zu keinem weiteren Wort fähig, verließ die Helene Ellis Wohnung. Es sollte das letzte Gespräch zwischen den Geschwistern sein.

Heimlich ließ die Ältere einen Vaterschaftstest machen. Mit welchem Ergebnis und mit welchen Folgen? Was denkt ihr wohl?

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