von Anatolie
Kurz nach 11 bekomme ich einen Anruf. âSie können Ihren Mann in einer Stunde holenâ. Passt. Ich bin schon vorbereitet und muss nur noch in meinen Mantel schlĂŒpfen. Bis zum LKH Graz brauche ich mit den Ăffis mindestens eine Stunde, die Baustellen, das Umsteigen und den neuen Busfahrplan mit eingerechnet.
Heute wurde mein Mann am zweiten Auge operiert. Grauer Star, obwohl er erst Anfang 60 ist. Das ist selten, kommt aber vor. Mit einer dicken weiĂen Augenklappe wartet er bereits auf mich. Es ist alles gut verlaufen. Jetzt mĂŒssen wir nur noch auf einen Sprung zur Apotheke. Am Jakominiplatz können wir gleich das Rezept einlösen. Hinterm Apothekeneingang begrĂŒĂt uns eine junge Frau und fragt, ob wir beim GlĂŒcksspiel mitmachen wollen. Neben ihr ist eine Drehscheibe aufgebaut sowie eine mobile Stellage mit Döschen, Seifen, Cremes und noch anderen Kosmetikartikeln. Nanu, denke ich. Da bekommt man etwas gratis, einfach so? Doch, es ist so, und wir dĂŒrfen sogar beide unser GlĂŒck versuchen. Mein Mann betĂ€tigt die Kurbel zuerst, der Zeiger bleibt am violetten Farbenfeld hĂ€ngen. Die Angestellte ĂŒberreicht ihm ein mit Apotheken-Logo bedrucktes Stoffsackerl. âDa sind noch ein paar KrĂ€utertees drinâ. Jetzt bin ich an der Reihe. Ich nehme krĂ€ftig Schwung und schicke ein StoĂgebet ans Universum: âFĂŒr mich soll es das Beste seinâ. Meine GlĂŒcksfarbe ist Dunkelblau. âBittesehr!â Ich erhalte ein All-in-one Sport-NahrungsergĂ€nzungsmittel. Ich bin etwas enttĂ€uscht, denn so viel Sport treib` ich nicht und mein Mann noch weniger, der muss sich derzeit schonen. WĂ€hrend er am Schalter sein Medikament abholt, beobachte ich noch andere Kundinnen, die am GlĂŒcksrad drehen. Ein Serum und eine Gesichtscreme wandern zu ihren neuen Besitzerinnen. âWollt ihr euch zu einem Videoclip fĂŒr Instagram anmelden?â, fragt die Assistentin zwei junge MĂ€dels, diese schĂŒtteln jedoch energisch den Kopf. Aha, so ist das also. Da wird um Mitwirkende fĂŒr eine Werbekampagne geworben! Ich gehe zur Angestellten hin und frage, ob ich meine Sport-Pillen gegen etwas anderes eintauschen könnte. âUmtauschen geht leider nichtâ, antwortet sie. âAber hier! Ich gebe Ihnen eine Creme extraâ. Hocherfreut bedanke ich mich und stecke das Döschen zu den Teebeuteln in den Stoffumhang. âĂbrigens, was ist das denn fĂŒr eine Sache mit dem Instagram Video? frage ich neugierig. Sie gibt etwas Ausweichendes zur Antwort und dann verstehe ich. âSie suchen wohl junges Publikum fĂŒr diese Sache, nicht wahr? Sie nickt. Ja! War eh klar. âAlso, berĂŒhmt werde ich in diesem Leben nicht mehrâ, sage ich halb scherzend zu meinem Mann, als wir zur Bushaltestelle gehen. Als ich noch so jung und knackig war, gab es keine Social Media, mich hĂ€tte nie jemand gefragt, ob ich beim Dreh eines Werbespots mitmachen möchte. Jaja, die Jungen und Schönen! Ihnen gehört die Welt. So war es immer und so wird es wohl auch immer sein. Wenig spĂ€ter sitzen wir im Bus. Ich greife in den Stoffbeutel und staune nicht schlecht: Ich ziehe nicht nur eine, sondern gleich zwei Gesichtscremen heraus. Und das ist noch nicht alles: Neben den besagten Teebeuteln befindet sich noch eine Tube Hand- und Nagelbalsam sowie eine Packung Halstabletten im ĂberraschungssĂ€ckchen. Das Universum hat uns reich beschenkt! Und das ganz ohne meinen âAuftragâ đ
© Anatolie 2024-09-16