Heiligabend, 10 Uhr, Irrsee. Es stehen schon ein paar Hartgesottene bei den Umkleidekabinen, als wir ankommen. Die meisten haben ihr rotes Hauberl mit der weißen Quaste schon auf. Die Vorfreude ist ihnen mehr oder weniger ins Gesicht geschrieben. Die Bedingungen sind der Jahreszeit entsprechend durchaus angenehm: 8 Grad C, grauer Himmel, soeben hat Regen eingesetzt. Am Kolomannsberg gegenüber liegt Schnee. Wenigstens hat sich Sturmtief Zoltan hinter den Polarkreis vertschüsst. Die Gruppe wächst weiter, während die ersten sich bereits ausziehen. Ein paar Flaschen Bier gegen die Aufregung, Rene verteilt Hauben an jene, die keine haben. Eine Spendenbox kreist und die Leute werfen hinein, was sie für angemessen halten. Das Geld kommt einer alleinerziehenden Mutter, deren Mann vor kurzem überraschend verstorben ist, zugute. Allmählich verwandeln wir uns in ganz normale Badegäste, abgesehen von der Tatsache, dass man sommers am See keinen Bademantel braucht. In Gummischlapfen oder barfuß – ein junges Mädchen trägt sogar Feuerwehrstiefel – watscheln wir die 150 m zum Irrsee (Nomen est omen) hinunter. Der gestern frisch gefallene Schnee ist bereits geschmolzen und hat in Verbindung mit dem Tauwetter eine Gatschwiese hinterlassen. Es ist Hochwasser, der Holzsteg ragt kaum über die Wasseroberfläche.
Vor einem Jahr veröffentlichte ich hier die Story „Ice Ice Baby“ über das Eisbaden. Und tatsächlich habe ich dieses ungewöhnliche Hobby seither ein paarmal praktiziert. Allerdings noch nie in der Gruppe. Und nicht für einen guten Zweck. Nachdem mein Kumpel Stef und ich zufällig in einer Whatsapp-Gruppe gelandet waren, bekamen wir eine Einladung. Meinerseits verbunden mit einer gewissen Vorfreude, seinerseits – nun sagen wir so, er konnte keinen Rückzieher mehr machen! Immer noch kommen Leute nach, aber die Pinguine am Steg beginnen unruhig zu werden. Nach kurzer Verwirrung, welche Leiter wir nehmen sollen, gehen wir zügig ins kühle Nass. Der Mann im Nikolo-Mantel, Spitzname Dr. Wolf, nimmt den direkten Weg und hechtet ins Wasser.
Die Gefühle, die Dich fluten, wenn Du in 4 Grad kaltes Wasser eintauchst, sind heftig. Zunächst erleidest Du eine Art Schock, der Atem setzt kurz aus. Nach wenigen Sekunden beginnst Du Dich zu entspannen, Dein Körper gewöhnt sich überraschend schnell an die Kälte. Du gehst so weit hinein, bis nur noch der Kopf mit der roten Pudelhaube herausschaut.
Irgendwann sind die 24 „Weihnachtspersonen“ im Wasser. Einige haben ihr Bier mitgenommen, dass keine Gefahr läuft, warmzuwerden. Fotos und Videos werden gemacht, Witze gedroschen, Durchhalteparolen gerufen, dann begeben sich die ersten wieder hinaus in den nun gar nicht mehr so kalten Dezember-Regen.
Zwar sind Deine Finger und Zehen eiskalt, aber in Deinem Körper breitet sich ein wohliges Gefühl aus. Du spürst Dich. Du zitterst Dich wieder warm, was Du als recht angenehm empfindest. Besonders warm wird Dir ums Herz, denn mit den Spenden wird Gutes getan und die Challenge hat Deinen Freundeskreis und Deinen Horizont erweitert.
24 Weihnachtsmänner und -frauen an Heiligabend, die alle nur Haube und Badesachen tragen. Auch das ist Weihnachten!
© Klaus P. Achleitner 2023-12-25