Ich hasse Berlin

FayeMorgaine

von FayeMorgaine

Story
2015

“Oh Gott! Was hast du denn gemacht?”, bestürzt schauen meine Mama und ich meine Oma an, die soeben mit meinem Opa das Restaurant betreten hat.

Meine fast 80-jährige Großmutter sieht aus, als wäre sie vor kurzem in eine Kneipenschlägerei verwickelt gewesen und hätte als Trophäe ein bemerkenswertes Veilchen davongetragen. Anscheinend ist sie etwas übermotiviert mit dem Fahrrad den Deich runtergefahren und ist beim Sturz mit dem Auge im Lenker gelandet.

Eine halbe Stunde später sind wir zwar endlich vollzählig, allerdings war auch schon die nächste Hiobsbotschaft erfolgt. Mein Onkel hatte uns soeben feierlich verkündet, dass er und seine Freundin ein Baby erwarten. Grundsätzlich Grund zur Freude, ich weiß, nun ist diese beim Rest der Familie dezent gedämpft, da sich mein werter Oheim leider die …äh… mental instabilste aller seiner Lebensabschnittsgefährtinnen zur Fortpflanzung ausgesucht hat.

Meine kinderliebende Oma schäumt dennoch über vor Freude, endlich wieder ein Baby in der Familie! Das letzte war meine Wenigkeit, heute ist übrigens mein 26. Geburtstag – Freude schöner Götterfunken.

Außerdem versuche ich in Sachen Entstellung meiner Oma Konkurrenz zu machen, da ich einen Pinkel unter der Nase habe, an dem ich, Intelligenzbestie die ich bin, so brutal rumgedrückt habe, dass nun die eine Hälfte meiner Oberlippe angeschwollen ist wie nach billigem Lipfiller.

Zu diesen unglaublich guten Bedingungen sitze ich nun endlich im Bus von Hamburg nach Berlin, um meinen guten Freund Calle zu besuchen und meinen Geburtstag angemessen zu feiern. Bedauerlicherweise kann ich nicht bei ihm schlafen, da es sein Freund nicht möchte, weil ich ihm mal betrunken im Club gesagt habe, dass er sich glücklich schätzen kann, dass Calle sich für ihn entschieden hat. Uups…

Doppeltes Gepäck – beides selbstverständlich nicht zum Rollen – habe ich auch, da aufm Hinflug mein Gepäck verloren gegangen ist und ich alles nachkaufen musste, es dann aber doch noch gefunden und mir gebracht wurde – lucky me.

Endlich in Berlin angekommen, Hostel ist in Ordnung und Calle und ich gehen erstmal lecker Burger essen. Morgen gehen wir dann auf das Lollapalooza Festival! Wir beschließen, dass es das Beste ist, wenn ich mein Gepäck am Busbahnhof in ein Schließfach gebe, damit ich dann direkt vom Festival zum Bus nach Hause kann.

“Ich bräuchte da ein bisschen Hilfe beim Gepäck tragen”, bitte ich.

“Ja klar, gar kein Problem!”, erwidert Calle.

Leider hatte er das wohl wieder vergessen, als es soweit war. Der Hostelmitarbeiter gibt mir die falsche Wegbeschreibung, wieso sollte er sich auch in Berlin auskennen? Alle Schließfächer sind natürlich voll, es ist schließlich Lollapalooza! Jetzt gehe ich von Hotel zu Hotel und hoffe, dass sich jemand mir erbarmt.

Die Sonne brennt, ich habe noch nichts gegessen, die Taschenriemen schneiden mir schmerzhaft in die Schultern – ich hasse Berlin!

Note: Mir ist bewusst, dass Berlin nichts dafür kann!

© FayeMorgaine 2022-02-18

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