Ist der Wasserhahn zu?

Heinz-Dieter Brandt

von Heinz-Dieter Brandt

Story

Seit Mitte der 70er Jahre besaĂźen wir einen Wohnwagen, ein Riesengeschoss mit drei Abteilen, der zwar eine groĂźe Zugmaschine voraussetzte, aber die Freiheit, die wir mit ihm genossen, war unbezahlbar. Die Erlebnisse wĂĽrden BĂĽcher fĂĽllen. Im Sommer oft in die Bretagne, im FrĂĽhjahr an die Cote d‘ Azur – oder in andere Länder Europas. FĂĽr die ganze Familie ein absolutes „GO“. Die erste Fahrt von uns absolut „Unerfahrenen“ sollte zu den DĂĽnen von Pleherel fĂĽhren.

Beladen wurde der Wagen nach folgendem Ritual: Vaters Sachen (1 Kiste + Werkzeug), Mutters Sachen (3 Kisten + Haushalt), Kinder (10 Kisten – wobei die ca. 10.000 Kuscheltiere auf 1.000 runtergehandelt werden mussten, was jedes Mal zu ziemlichen Verwerfungen in der Familienatmosphäre fĂĽhrte und von denen auch höchstens 2 die Sonne der Bretagne zu Gesicht bekamen. Die anderen warteten in der Unterwelt des Wagens auf ihren Einsatz). Das Kinderzimmer war bis auf die Möbel nahezu leergeräumt. Der Wagen war immer ĂĽberladen, aber aufpumpbare StoĂźdämpfer sicherten dennoch eine stabile StraĂźenlage.

Die erste Abfahrt begann gegen 11 Uhr. 1.400 km lagen vor uns. Das Mittagessen wurde auf einem Parkplatz in Kassel (nach 120 km) – wie gewohnt – gegen 13 Uhr eingenommen. Ach, wie schön ist die Welt beim „Zigeunern“. Schnell noch Abwasch, Nickerchen. Um 16 Uhr weiter. 16.10 stellte meine Frau die Frage, die von allen Fahrern gefĂĽrchtet wird, diesmal schon nach 10% der Reise: „Sag mal, Schatz, hast du den Wasserhahn zugedreht?“

NatĂĽrlich habe ich das nicht, mache das auch nie, weil in den letzten 3 Wochen vor Abfahrt ich mich nicht mehr mit Waschbeckenkleinigkeiten aufhalte. „Ich hab nichts zugedreht!“ „Gut“, sagt sie, „dann ist er auf – ich nämlich auch nicht.“ FĂĽgte zwar ein leises: „Glaube ich jedenfalls“ hinzu, aber mehr, um sich selbst zu beruhigen. Diese mentale Beruhigungsspritze hält nachweislich 30 Sekunden, um dann verstärkt auszubrechen: „Der ist nicht zu!“, und 15 Sekunden später „DER IST NICHT ABGEDREHT!“

Jetzt kam es auf mein Geschick an – alles in besänftigende Bahnen zu lenken. Ich versagte. Leise: „Wir mĂĽssen umkehren!“ Lauter: „WIR MĂśSSEN UMKEHREN!“ Etwas schrill: „Hörst du, umkehren!“ SchlieĂźlich panisch: „KEHR sofort UM, oder sollen Haus, StraĂźe, Dorf ĂśBERSCHWEMMT WERDEN?“

Die bis dahin schlummernden Kinder fragten, was denn los wäre, juchzten bei dem Wort „umkehren“, könnten sie doch nun 100 ihrer Kuscheltiere sofort gegen 200 wesentlich wichtigere Stofftiere austauschen. Bevor meine Frau in die Bremse griff, kehrte ich um.

Der Wasserhahn war zugedreht! – Erneut auf die Strecke. Nach 150 km der erste Nächtigungsplatz: Jetzt lagen nur noch 1.250 km vor uns. Dann ĂĽber Paris – wenn schon Frankreich, ist Paris ein „Muss“ – um nach 6 Tagen in Pleherel anzukommen. Traumhaft: DĂĽnen der Bretagne, wilde Natur, Sonne, Brisen, französisches Savoir Vivre. ZurĂĽck!

Wie gesagt, der Wasserhahn war zugedreht. Aber im ganzen Haus hatten wir drei Wochen Licht brennen lassen!

© Heinz-Dieter Brandt 2020-06-06

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