Leder, Moschus und Sandelholz

Den ganzen Tag schon spielte ihr ihre Fantasie Streiche. Immer wieder sah sie in ihrer Vorstellung einen Mann, der sie nach allen Regeln der Kunst verführte. Sie konnte kein Gesicht erkennen, nur einen schemenhaften Körper und Hände, die sie berührten.

Deswegen machte sie einen langen Spaziergang, doch der brachte ihr nicht die ersehnte Ruhe und Gelassenheit zurück. Sie bekam ihren Kopf nicht frei von all diesen erotischen Sequenzen. Sie befand sich in einer immerwährenden Schleife und konnte diese Bilder und Gedanken nicht abschütteln, so sehr sie sich auch bemühte.

Sie betrat ihre Wohnanlage und fuhr mit dem Aufzug in den dritten Stock. Die Tür zur Nachbarwohnung stand einen Spalt offen und die Neugier übermannte sie, außerdem konnte ja jemand Hilfe gebrauchen. Sie zog die Tür weiter auf und rief hinein, aber es meldete sich keiner. Sie wusste, dass die Wohnung eine Weile leer stand. Vielleicht zog ja gerade wer ein?

Das Vorzimmer war bis auf eine Garderobe aus Metall leer. Sie ging in die Küche, wo nur eine Tasse auf einem kleinen Tisch stand. Ansonsten schienen die Küchenschränke noch kein Geschirr zu enthalten. Sie hörte das leise Brummen des Kühlschranks und öffnete ihn. Ein Liter Milch und eine Butter fand sie darin. Den Gefrierschrank ließ sie zu.

Sie betrat das erste Zimmer und sofort wurde sie von diesem betörenden Geruch empfangen. Sehr männlich und präsent. Eine Mischung aus Leder, Moschus und Sandelholz. Mit voller Wucht traf sie erneut ihre Fantasie und sie wagte kaum zu atmen, so erregt war sie. Das Zimmer war noch vollkommen unmöbliert, nur ein dunkelblauer Schal lag auf dem Boden, der diese Duftmischung ausströmte. Sie hob ihn auf und drückte ihn in ihr Gesicht. Was für ein Bouquet! Ohne zu überlegen, steckte sie den Schal in ihre Jackentasche und machte sich auf den Rückweg. Hoffentlich begegnete ihr niemand. Sie wollte nur so schnell als möglich in ihre Wohnung.

Geschafft. Sie stand wieder auf dem Gang vor ihrer Wohnungstür. Etwas zittrig sperrte sie auf und ließ sich im Vorzimmer auf den Hocker fallen. Sie atmete tief aus und im geheimen schalt sie sich eine dumme Gans. Mein Gott, sie war doch eine erwachsene Frau. Was war bloß los mit ihr? Sie schenkte sich einen Baileys ein und schön langsam beruhigte sie sich.

Eine Stunde später lag sie in ihrem Bett. Plötzlich war da wieder diese sinnliche Erinnerung und sie stand auf und holte sich den Schal aus ihrer Jackentasche und dieser intensive Geruch vertrieb all ihre Bedenken. Sie gab sich ihrer Fantasie hin und danach träumte sie von Leder, Moschus und Sandelholz.