Monsterchen I

Es begann als leises Flüstern. Manchmal, vorsichtig, unbemerkt. So wie, wenn Kinder leise im Schlaf wispern. Ich hab es zunächst noch überhört.

Ich war ja auch selbst noch ein Kind. Und ich erinner mich zwar nicht an den genauen Moment, aber ich weiß, er war stark. Fühlte sich an, wie ein Sog, der mich zunächst sehr verhalten nach unten zog. Schon bald wurde das Flüstern lauter. Ich fühl es noch genau. Hinten mit dir im LKW auf dem Industriegelände vom Wagenbau.

Du sagtest, ich könnte ja auch einfach anders sein, mehr wie sie, weniger ich. Dann wärst du sofort mein und dann küsstest du mich. Ich war jung und naiv und glaubte dir. Hatte so was Ähnliches schon mal gehört. Änder doch dies und das! Sei weniger laut, fühl weniger viel! Stell dich nicht so an! Aber von Menschen, die mir relativ egal waren, deshalb hat es mich nicht gestört.

Dann werden aus dem Flüstern leise Töne beim Jeanshosen Kauf. Das ist zu eng und das zu kurz, da quillt Fett, zieh die lieber wieder aus. Sonst sieht das so hm, naja unpassend aus. Und dabei bist du doch eigentlich ganz hübsch. Ein bisschen größer wäre gut, da wächst du schon noch rein. Und wegen des Hüftspecks, ach keine Sorge der verwächst sich, du bist ja noch klein.

Hör Mal einfach nicht drauf! Was die sagen – du bist jung, aber du kannst das tragen. Auch ertragen?

Weiß nicht!

Leise Töne im Kopf, die sich stetig wiederholen.

Lern Mal erst für Mathe, danach gibt’s ne Belohnung. Wir holen dich lieber ab. Am Ende vergisst du sonst noch, wann du los musst oder verirrst dich ins Fremde. Du musst schon los? Dann gehörst du nicht mehr dazu – ganz einfach, alles klar?! Ab Morgen in der Schule, lass uns in Ruh! Los nimm Mal nen Zug, um dazuzugehören musst du schon mitmachen. Los zieh dich mal aus, zier dich nicht so, das ist das, was alle Mädchen in deinem Alter machen. Und schmink dich mehr, der Rock muss kürzer, sonst kriegst du nie einen ab, dann bist du n Loser.

Unsicherheit, Angst ja sogar Verlust werden Teil meines Lebens. Die Töne werden Worte und ich kann seine Stimme hören. Es ist die eines Monsters und jetzt kann ich’s spüren. Es spricht zu mir.

Und die Frequenzen erhöhen sich mit jedem Mal, das jemand mir einfach seine Sicht der Dinge aufdrückt, mitteilt, mich ermahnt. Sich nicht zurückhält. Mit jedem Mal, das mir jemand erzählt, wie Mädchen richtig sind, wie man sich ordentlich verhält oder was ich mögen darf. Das ist nämlich nicht egal. Weil ich sonst nicht dazugehören kann.

Und das will ich ja nun mal. Oder sollte ich wollen, sonst bleib ich allein.

Allein sein willst du nicht – Nun sieh das doch ein!

Darf ich vorstellen. Das war es bereits in Person. Mein Monster agiert äußerst autonom.