Das gibt‘s ja nicht überall Sonnenschein, nur hier im Goldkar, hatte sich der Nebel festgesetzt. Klettermäßig zum ersten Mal im Toten Gebirge wollten wir uns mit einer relativ leichten Route an die örtlichen Verhältnisse gewöhnen, doch bei dem Nebel war für Gebietsneulinge der Einstieg nicht zu finden. Etwa nach einer Stunde wurde es etwas heller, schemenhaft waren die Wände zu erkennen. Ein Blick auf das Foto im Kletterführer und schnell war klar, wo die Route „Herbsttraum“ sein muss. Über feuchte schwarze Wasserrunsen gelangte man bald auf trockenen Fels und in genüsslicher Kletterei zum Gipfel. Allein der Nebel wollte sich nicht gänzlich vertschüßen. Beim Blick nach unten merkten wir, dass das Grau schon wieder etwas dichter wurde, mein 22-jähriger Sohn und ich mussten ja den Abstieg und die Abseilstelle finden. Zunächst in eine Scharte absteigen und da waren auch die kleinen roten Punkte, die den Abstieg markierten. Nach und nach wurde der Weg steiler und der Nebel dichter, die Punkte kaum erkennbar. Jetzt wurde es aber richtig spannend, denn wir wussten, dass da irgendwo unter uns im undurchdringlichen Grau eine gut 50 m hohe senkrechte Wand war, über die wir abseilen mussten.
Die Nerven gespannt wie eine Klaviersaite, verbissen den nächsten Punkt suchend, kämpften wir uns abwärts. Die Flanke wurde immer steiler, man konnte den Abgrund schon spüren, aber vor den Augen war nur dichtes Grau. Stefan stieg voraus und war im Nebel nur mehr schemenhaft zu erkennen, da kam das erlösende „Do is er“. Der Abseilhaken war aber nur die halbe Miete, denn mit unserem 60-m-Seil mussten wir ja noch eine Abseilstelle in der senkrechten Wand finden. Wir fädelten das Seil durch den Haken und Stefan schob sich vorsichtig über die Kante: „Scheiße, do is a Überhang, das Seil verschwindet freihängend im Nebel!“ Dann verschwand auch der Sohnemann und bald hörte ich: „Bin am Fels“, nach einiger Zeit: „Seil frei!“ Jetzt konnte ich an den Seilsträngen nach unten gleiten, dann tauchte 5 m unter mir Stefan im Nebel auf: „Stopp, ich hab den Stand übersehn!“ Tatsächlich der Haken war gleich unter mir, Stefan stand 3 m tiefer auf einem Felsvorsprung, Abseilgerät noch im Seil! Keine Selbstsicherung! Aber jetzt war er noch über das Seil gesichert. Ich klickte meine Selbstsicherung in den Haken. „Lass mir einen Friend übers Seil herunter, ich brauch eine Sicherung; wenn du das Seil abziehst!“ Stefan platzierte das Klemmgerät in einem Riss, klickte seine Sicherung ein und löste das Abseilgerät. Schnell und konzentriert zog ich das Seil ab und fädelte es durch den Haken vor mir. Stefan stand derweil gerade wie ein Soldat auf seinem Felsvorsprung, um die zweifelhafte Selbstsicherung nicht zu belasten. Vorsichtig ließ ich die Seilstränge hinunter, Stefan konnte sichtlich erleichtert sein Abseilgerät einhängen, um im dichten Nebel abzutauchen. Bald lockerten sich die gespannten Seilstränge und ich hörte das erlösende „Seil frei, bin im Kar!“….
© Robert Sedelmaier 2020-04-19