von Gabriele Leeb
Ich bin ja immer auf der Suche nach alten Worten. Nun bin ich auf das Wort Techtelmechtel gestoßen. Techtelmechtel ist im ursprünglichen Sinn ein geheimes Einverständnis. Umgangssprachlich ist darunter eine mehr oder weniger heimliche Liebschaft zu verstehen.
Vor Jahren hatte man mir ein Techtelmechtel mit einem Betreuer der Werkstätte nachgesagt. Ich fand es ja abenteuerlich, dass wer auf diese Idee gekommen war und im Nachhinein sogar schmeichelhaft. Er hätte mein Sohn sein können vom Alter her und eigentlich geht es ja um eine Umarmung.
Eines Tages als ich Philipp abgeholt hatte, hat der Betreuer mich spontan umarmt. „Ich hatte das Gefühl, du brauchst das jetzt“ hat er danach zu mir gesagt. Philipp war in einer schwierigen Phase und weigerte sich immer öfters in die Werkstätte zu gehen. Anscheinend machte ich einen etwas verzweifelten Eindruck oder was auch immer. Auf jeden Fall tat es gut, obwohl ich vollkommen überrascht war.
Ähnliches ist mir Jahre später auch mit dem Elektriker passiert. Er hat mir eine neue Lampe montiert und plötzlich hat er mich im Vorzimmer umarmt. Ich war derartig perplex, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Auch er meinte, dass hätte ich verdient, ich wäre bestimmt schon lange nicht umarmt worden und es sei bewundernswert, wie ich das Leben mit Philipp schaffe. Ich sei eine besondere Frau. Ich hatte nicht das Gefühl, dass da etwas Sexuelles dahinter stand.
Heißt es nicht, aller guten Dinge sind drei? Letztes Jahr ist mir das wieder passiert. Unser Hausarzt ist ein relativ chaotischer, aber herzensguter Mensch. Philipp mag ihn sehr und ich bin wirklich froh, dass er sich brav untersuchen lässt und auch Blutabnahmen und Impfungen keine Probleme darstellen. Irgendwann im Herbst hatte ich mehrere Termine und Philipp war dabei. Ich bekam meine Infiltrationen und wir waren schon auf dem Weg nach draußen und auf einmal kam mir unser Arzt nachgelaufen und umarmte mich: „Ich habe dich ja gar nicht richtig begrüßt!“
Das Wartezimmer war voll und alle haben uns interessiert beobachtet. Ich weiß nicht, ob da wieder ein Gerücht über ein Techtelmechtel die Runde machte. Ich habe nichts darüber gehört. Seit diesem Tag werden Philipp und ich immer mit einer Umarmung begrüßt.
Eigentlich wollte ich eine Geschichte über das Techtelmechtel schreiben, geworden ist es eine Geschichte über die Umarmung. Manches Mal braucht man eben nur eine Umarmung.
Foto: Sammybjeff/Pinterest
© Gabriele Leeb 2024-01-27