von Joana Oppermann
Kein ‚Auf Wiedersehen‘
Kein ‚Bis bald‘
Kein ‚Wir sehen uns‘
Bloß ein ‚Lebe wohl‘
In strömendem Regen liegt ihr einander in den Armen. Das Wetter ist ein Ebenbild deiner inneren Verfassung. Eine letzte Umarmung. Die Regentropfen werden eins mit deinen Tränen, aber verstecken können sie sie nicht. Eure Herzen schlagen noch einmal in dem gleichen Takt, als würden sie sich voneinander verabschieden wollen. Wie soll das eine bloß ohne das andere bestehen? Als ihr euch nach endlosen Minuten, die gleichzeitig wie ein Wimpernschlag vorübergingen, voneinander löst, kannst du dein Herz brechen hören. Ein leises, zartes Knacken.
Durchnässt und fröstelnd – so stehst du am Bahnsteig und schaust den Türen des Zuges dabei zu, wie sie euch endgültig voneinander trennen. Zwischen euch eine transparente Mauer aus millimeterdünnem Plastik. So nah und doch so fern. Eure Hände berühren sich beinahe, wäre nicht die regennasse Fensterscheibe zwischen euren Fingerspitzen. Fast bildest du dir ein, die Wärme auf deiner Haut spüren zu können, doch gerade in diesem Moment setzt sich der Zug in Bewegung.
Ohne nachzudenken, läufst du neben dem immer schneller werdenden Wagon her. Willst nicht loslassen, nicht aufgeben. Wehmut liegt in deinem Blick als du den Rücklichtern des Zuges hinterherschaust, bis sie zu kleinen Lichtpunkten in der fernen Dunkelheit verblassen. Mit jedem weiteren Meter zwischen euch wächst die Sehnsucht in dir.
Erneut kannst du dein Herz brechen hören – in tausend kleine Splitter – begleitet von einem lauten, spürbaren Krachen.
Ein Kaleidoskop des Schmerzes.
In deiner Brust herrscht eine Leere, die sich durch nichts und niemanden füllen lässt. Die beständig fallenden Regentropfen flüstern dir tröstende Worte in einer Sprache zu, die du nicht verstehst. Keine Medizin vermag es, diesen Schmerz zu lindern, der sich wie Gift in deinem Körper ausbreitet. Er setzt sich fest in deinen Fingerspitzen, deinen Fußsohlen, aber am stärksten in deinem Brustkorb. Massiv wie ein Stein lastet dieser geballte Schmerz auf deiner Brust.
Du wirst dich an ihn gewöhnen müssen.
Du bist allein.
Du bist allein und wirst es bleiben.
Ab heute und für alle Zeit.
Niedergeschlagen begibst du dich auf den Heimweg. Die Pfützen, die sich auf dem unebenen Asphalt der Straße gebildet haben, werfen dir eine verzerrte, traurig dreinblickende Fratze zu. Das bist du.
Du lässt deine durch die Kälte starr gewordenen Hände in deine Jackentasche gleiten und stößt auf einen kleinen zusammengefalteten Zettel. Verwundert faltest du ihn auf:
„Liebe kennt keine Distanz.“
© Joana Oppermann 2023-09-01