Resitant, wo is da Nussstrudl?!!

Mary Modl

von Mary Modl

Story

Alle heiligen Zeiten sind sie zu uns aufs Land gepilgert. Die lieben Wiener Verwandten! Und da meine Verwandtschaft sich des Einstens aufgrund großfamiliĂ€rer Strukturen vor etwa hundert Jahren vorzugsweise nach Wien ausgebreitet hatte, wurlte es dort nur so vor Nachkommen mit Weinviertler Wurzeln.

Dadurch meine Großmutter, die beliebte Resitant, als begnadete Mehlspeisenköchin bekannt war und das Auftischen regionaler Köstlichkeiten obligatorisch mit den Besuchen einherging, kamen sie alle gerne und regelmĂ€ĂŸig. Es hatte niemals besuchsankĂŒndigender Anrufe bedurft. Es wurde ganz einfach mit ihnen gerechnet. Die einen beehrten uns vorzugsweise zu Ostern oder zu den Weihnachtsfeiertagen; GerĂŒchten zufolge aufgrund der Krapferl- und FeinbĂ€ckereisaison. Andere zwecks GrĂ€berbesuchen bevorzugten wiederum Muttertag und Allerheiligen.

Ich muss gestehen, dass ich sie vermisse, die Wiener Verwandten. Ausgemacht war, dass eventuell meine Cousine Susi heute komme; die letzte noch Verbliebene, die es zu uns herauszieht. Doch seit vorgestern streikt das Auto; mit einem behinderten Kind ist eine Zugreise zu anstrengend. Wir hĂ€tten gemeinsam die Friedhofsrunde gedreht; nicht traurig, vielleicht ein bisschen melancholisch und nachdenklich; und vielmehr dankbar im Jetzt uns des Vielen an Mitgegebenem erfreuen zu dĂŒrfen…

— und sicherlich hĂ€tte uns danach bei einer gemĂŒtlichen Allerheiligenjause die Vergangenheit eingeholt. Wir hĂ€tten uns wieder einmal köstlich darĂŒber amĂŒsiert, wie es frĂŒher war an diesem Tag. Denn die klassischen Wiener Verwandtschaftsallerheiligenbesucher waren Susis Eltern, die Tante Friedl und der Onkel Gerhard, der Onkel Robert mit der Tante Traude und die Tante Mitzi mit den sich im Laufe der Jahre Ă€ndernden Onkeln Toni, Walter und Rupert.

Friedl und Mitzi sowie der Robert waren Geschwister. Ein herrliches Dreiergespann, wobei immer zwei zueinander hielten und die/der Dritte die Position der/des GeĂ€chteten innehatte. Schon Wochen vor Allerheiligen wurde gerĂ€tselt – ich erinnere mich sogar an abgeschlossene Wetten – wer jenes Mal die Buhmann/-frau-Stellung innehĂ€tte. Die Themen waren vielschichtig; mal ging es um Nichtverarbeitetes aus der Vergangenheit, Bevorzugungen, Benachteiligungen. Bei Dreien ist eben stets einer zuviel. Die Diskussionen wurden dann bei uns am Tisch ausgetragen. Hier kam es stets zu einem Konsens; waren sie mit teils auch vergrĂ€mten Gesichtern gekommen, so fuhren sie mit gelösten GesichtszĂŒgen und zumindest lĂ€chelnd, sodass sie wieder ein ganzes Jahr lang Stress aufbauen konnten, um diesen im nĂ€chsten Jahr bei der Resitant wieder entladen zu können.

Am meisten vermisse ich Tante Friedls legendĂ€ren WillkommensbrĂŒller „Resitant, wo ist der Nussstrudl?!!“ 
 kaum durchs Tor getreten, durch die ganze Friedhofgasse hallend und vom Novemberwind bis zu den GrĂ€bern ihrer Ahnen zu den nahen Ruhebetten der Ewigkeit hinausgetragen.

© Mary Modl 2019-11-01

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