von renate schiansky
Sorgen am Morgen
Es wird nichts besser im Alter! Schon in der FrĂĽh fangen die Probleme an! Kreuz verbogen, die Beine steif; kaum dass ich aus dem Bett komme! Gut, zuerst ins Bad! Nur eine Katzenwäsche, sonst bin ich gleich wieder mĂĽde! Zum FrĂĽhstĂĽck eine Tasse Kaffee! Ohne Koffein, sonst beschwert sich mein Magen. Die Gerti sagt, sie trinkt noch richtigen Bohnenkaffee. Die ist aber auch erst 79. Was ist noch an Essbarem da? Das Brot ist steinhart, wer soll das beiĂźen? Wurst und Emmentaler Käse. Kann man auch so essen. „In der Not auch ohne Brot!“ hat meine Oma immer gesagt. Dabei hat sie in Wahrheit meistens das Brot ohne Wurst gegessen. Weil sie nichts hatten, damals. – So, den Käse habe ich verputzt. Wo ist meine Einkaufsliste? Wenn ich mir nicht alles aufschreibe, vergesse ich die Hälfte. Oder beide Hälften. Käse, frisches Brot. FĂĽr den Nachmittag einen Stollen, denn da kommt die Gerti zum Kartenspielen. Meistens spielen wir Jolly. Ich persönlich mag ja Schnapsen lieber, aber das kann die Gerti nicht so gut. Mir zuliebe macht sie´s trotzdem, und ich lasse sie ab und zu gewinnen, dann freut sie sich.
Wo war ich? Ach ja, Käse, frisches Brot, Stollen. Milch ist noch da. Wart, ich schau lieber nach, ob die nicht vielleicht schon sauer ist. In die Milchkartons heutzutage sieht man ja nicht mehr hinein! FrĂĽher, da haben wir die Milch in einer Kanne geholt. Da hat man immer gleich gerochen, wenn die Milch sauer war! – Nein, die Milch geht noch. Vielleicht ein paar Ă„pfel, wegen der Vitamine. Mittags gehen wir ja meistens essen, die Gerti und ich. Zum „schönen Toni“. Der ist zwar ein alter Miesepeter, aber das MenĂĽ ist gut und billig. Die Köchin ist aus Böhmen, wie meine Oma. Die hat immer so bunte Kleider angehabt, mit groĂźen Taschen voller SĂĽĂźigkeiten fĂĽr uns Kinder. Komisch, dass mir das jetzt einfällt.
Jesus Maria, jetzt geht’s schon auf neun zu, und ich bin noch nicht einmal fertig angezogen! Soll ich die Bluse schon zur Wäsche geben, oder geht die noch einen Tag? Ach, ich trag´ sie heute noch einmal. Vom vielen Waschen wird der Stoff kaputt. Die Knopflöcher werden auch immer kleiner. Ich glaube, ich bringe die Bluse zur Caritas und kauf mir so ein T-Shirt, wo man nur reinschlüpfen muss. Eines mit Aufdruck. „Traue keiner unter 80!“, zum Beispiel!
Jetzt ist mir die Einkaufsliste auch noch unter den Tisch gerutscht! Au weh, und mir fällt das BĂĽcken ohnehin schon so schwer! „Knie beugen!“ heiĂźt es immer wieder von den Ă„rzten und Gesundheitsschwestern. Ja, haha! Wenn ich in die Knie gehe, dann komm ich gar nicht mehr hoch! – Puh, da unten sieht es aus! Vielleicht frage ich die Gerti nach der Telefonnummer ihrer „Perle“. Wenn ich mir beim Boden wischen einen Hexenschuss hole, hat auch keiner etwas davon. Ich am allerwenigsten! Der Patrik, mein Enkel, der will mir immer einreden, ich soll mir doch einen Rollator zulegen. Ja wofĂĽr hält der mich? FĂĽr ein altes Weib? Ich bin eben erst 83 geworden! – Stöcke haben wir uns jetzt allerdings schon gekauft, die Gerti und ich. Wanderstöcke. Diese „nordischen“. Damit gehen wir morgen „walken“. Bis zur Konditorei und wieder zurĂĽck, das sind mindestens 700 Meter! Man muss schlieĂźlich etwas tun fĂĽr die Gesundheit!
© renate schiansky 2024-09-25