von Ulla Burges
Um 4.10 Uhr krÀchzte dieser Rabe die vierte Nacht in Folge hinterm angekippten Fenster, unter dem ich lag und noch schlafen wollte, seine ganze Unbill mir direkt ins Ohr. Auch Raben gehören um die Zeit noch ins Bett. Also Guten Morgen, aber du bist mir zu laut.
Ich sollte Anny fragen, was man um vier mit einem verstörten Raben macht. Sie hat immer Ideen. Aber sicher ist Anny im GefĂ€ngnis. Das hat sie nun von ihrer Tierliebe. Ein böser Mann hatte sie angezeigt, weil er vorgab, sie habe ihn gebissen aus Wut darĂŒber, dass er ihr untersagt hatte, hinterm Zaun die halbwilden Katzen zu fĂŒttern. BeiĂt Anny andere Menschen? Wenn ich zu ihr komme, muss ich achtgeben, dass ich nicht angefallen werde von einem ihrer neurotischen Pflegetiere, die sie findet und dann mit Geduld und Hingabe pĂ€ppelt und pflegt, bis sie wieder auswilderungsfĂ€hig sind. Und wer nicht will, der darf bleiben. So ist ihre Wohnung angefĂŒllt mit KĂ€tzchen und Katzen, mit Babyvögeln, Eichhörnchen und neulich einem Jungfuchs. Tollwut sei ausgeschlossen worden, aber wenn sie den hier wiederhingekriegt habe, werde er vom nĂ€chsten JĂ€ger abgeknallt. Die habe sie sowieso gefressen, immer nur rumballern. Die rotbunte Katze auf ihrem SchoĂ sollte ich festhalten, Tropfen in die EiterĂ€uglein, geht besser zu zweit.
In der KĂŒche schepperte es. âNapoleonâ, rief sie, wĂ€hrend die rote Katze schrie, âUlla geht doch dann wieder!â Napoleon blieb eifersĂŒchtig, noch etwas ging zu Bruch. Dann schoss er auf mich zu. Anny, stets auf alles gefasst, konnte ihn eben noch abwehren, bevor er mir ein Loch in die SchĂ€deldecke hackte. Napoleon, eine Elster, wohnte schon lange bei Anny, flog aber aus nach Belieben. Einst hatte sie den Jungvogel aus KaterfĂ€ngen gerettet. Zum Dank akzeptierte der Vogel sie, aber nur sie. Die zweite Attacke auf mich endete mit einem schmerzhaften Schnabelhieb in mein Ohr. Anny setzte mir den gelben Besucherhut auf, der Napoleon gnĂ€dig stimmen wĂŒrde.
Bald sei die Gerichtsverhandlung, sagte sie und trennte mit liebevoller Strenge und geĂŒbten Griffen den MischlingsrĂŒden Ede von Hannelore, der trĂ€chtigen Graukatze, die stets aus dem Hinterhalt agierte. âDer Blödmann ist doch verrĂŒcktâ, sagte sie, âhat sich selber in den Arm gebissen, ist nachgewiesen, aber der war frĂŒher Stadtverordneter, hat sich jetzt sogar ein paar Zeugen gekauft â dem wird man wohl eher glauben als mir! Schau mal hier, Isolde, die hat einfach wer ausgesetzt.â Unterm Schrank hervor lugte eine Schildkröte, Salat im Mundwinkel. Napoleon war aus dem Fenster geflogen, ich wollte den Hut absetzen. Anny warnte mich: Da im Ahorn sitze er und warte nur darauf, dass ich den Kopf wieder frei habe.
Ich rufe Anny an. Sicher ist sie nicht im Knast â ist sie auch nicht. Aber erbost ist sie. FĂŒnftausend Euro darf sie blechen, Schmerzensgeld und alle Gerichtskosten. Dabei sei der VerrĂŒckte inzwischen an Herzinfarkt verstorben.
âDem zeternden Raben stellst du einfach was zu essen raus, dann kommt er bestimmt wieder.â
© Ulla Burges 2021-03-20