Zaid, mein Held

Hidaya Sabbagh

von Hidaya Sabbagh

Story
Palästina 2024

Dezember 2023

Luja

Salam lieber Noah,

Es tut mir so leid.

Es tut mir leid, dass ich nicht bei dir bin. Dass ich dir nicht sagen kann, dass es mir gut geht. Dass du dir Sorgen machst. Dass du vermutlich unüberlegt handeln wirst. Es tut mir so leid. Bitte mach nichts Falsches. Nicht wegen mir. Bitte.

Als ich an jenem Tag aufwachte, hatte ich keine Ahnung, wie er enden würde. Der Morgen hat super begonnen. Es war warm, aber nicht heiß. Nur einzelne weiße Watte-Wolken waren zu sehen.

Sogar eine Sekunde, bevor es passierte, ging es allen noch gut. Ich schaute mir den Sonnenuntergang an, wie wir es oft taten, erinnerst du dich?

Kaum denkbar, dass ich jetzt Angst davor habe. Eine Zeit lang habe ich Panik bekommen, sobald die Dämmerung nahte. Ich kann es nicht mehr sehen. Es gleicht einem Weltuntergang. Dann ist kein Licht mehr, das den Anschein von Schutz bietet. Hätte ich doch bloß den letzten Sonnenuntergang genossen, als ich es noch konnte…

Es fühlt sich komisch an, dir in diesem Buch zu schreiben, aber es ist tatsächlich das Einzige Hab und Gut, das ich habe. Außer die Klamotten, die ich am Leib trage.

Ich glaube, ich sollte es aufschreiben, einfach um es aus meinem Kopf zu bekommen. Es wimmert da viel zu lange, dass es raus wolle. Aber ich konnte nicht. Ich habe alles Mögliche an dich geschrieben, aber was passiert ist…

Es fing an mit dem Schrei meiner Mutter, die mich nach unten rief. Und dieser Schrei war so schrecklich, ich erinnere mich heute noch daran. Er hallt mir manchmal noch im Kopf, wenn ich eine andere Frau nach ihrem Kind rufen höre.

Die Wolke, die ich während des Sonnenuntergangs ignorieren wollte, war dieselbe, die über dem Spielplatz aufgestiegen ist. Ausgelöst von einer Bombe. Die meinen Bruder getroffen hat.

Aber alles nach einander.

Mein Bruder, der kleine Zaid, mein kleiner Held. Er war der einzige, der nicht mit dem anderen gespielt hat. Alleine saß er auf der Schaukel und wippte. So erzählte er es, ergänzend mit den Worten meines Vaters, denn er konnte nicht mehr so gut sprechen. Er sah sie kommen, die Bombe, als er aufblickte. Und er schrie, und wie er schreien konnte. Er hat sie alle damit gerettet. Nur er selbst hat sich vergessen und die Bombe traf genau bei ihm ein. Wie er den Weg nach Hause überlebt hat, war uns allen ein Rätsel. Mein Vater rannte mit ihm im Arm den ganzen Weg zurück, meine Schwester weinend neben ihm im Schlepptau. Doch es war Zaid, der gelächelt hat, als er seine Augen für immer schließen sollte. „Ich komme ins Paradies.“, hatte er geflüstert. „Und ich werde da auf euch warten, auf meiner eigenen Schaukel.“ Dann brach seine Stimme und sein Kopf fiel zur Seite, in den Armen meiner Eltern.

© Hidaya Sabbagh 2024-08-31

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Herausfordernd, Traurig
Hashtags