Zaungeflüster II: Das Kennenlernen

Patrik Bruna

von Patrik Bruna

Story
Niedersachsen 2020 – 2025

„Hallo Nachbar!“ Erschrocken fahre ich zusammen und lasse die kleine Schaufel zu Boden fallen, mit der ich gerade noch die Erde umgegraben und nach weiteren Überresten, sprich Müll, der Vorbesitzer durchwühlt habe. An diesem Freitagnachmittag bin ich nun schon mehr als drei Stunden auf meinem erworbenen Grundstück – da steht doch tatsächlich und wahrhaftig mein Name im Grundbuch! – und kümmere mich um letzte Vorbereitungen, damit der Hausbau in wenigen Wochen hoffentlich ganz ohne größere Probleme – kleinere werden so sicher auftreten wie das Vaterunser am Ende des Gottesdienstes – vonstattengehen kann.

Ich befinde mich in den letzten Zügen: Das Grundstück wurde in der Vergangenheit nur als Garten und PKW-Stellplatz verwendet, sodass ein Gartenschuppen, mehrere Komposter sowie ein Carport hier standen. Das Gartenhäuschen, das im Grunde nur aus Asbest und viel gutem Willen zusammengehalten wurde, gibt es zum Glück nicht mehr; das Carport ist abgebaut und nur noch die sauber gestapelten Z-Steine warten auf neue Besitzer; die drei Komposter, derer ich mich annehme, und andere Kleinigkeiten müssen jetzt beseitigt und der Rasen gemäht werden. Dann wirkt diese kleine Fläche nicht nur ordentlich, sondern auch bereit, transformiert zu werden. Und während ich mich an diesem heißen Sommertag gedankenverloren dem Tun und Schaffen auf meinem Grund hingebe, ertönt diese laute, fast schon anklagende Stimme: „Hallo Nachbar!“

Ich schaue auf und sehe einen Typen nahe der 60, der mit grauer Anglerweste über seinem dreckigen Unterhemd, kurzen Hosen sowie Sandalen – natürlich mit den dazugehörigen weißen Socken – den menschengewordenen Alptraum Karl Lagerfelds verkörpert. Geistesgegenwärtig grüße ich mit Hand und Kopfnicken und erfahre auf einmal eine – wie soll ich es nennen? – böse Vorahnung (?). Er watschelt an die Grundstückgrenze, wo sich der hüfthohe Maschendrahtzaun befindet. „Das ist ja ein Ding! Seit Wochen werkelst du hier fleißig rum und hattest noch gar nicht den Schneid, dich bei mir vorzustellen!“

Wrummmmmmms! Welch freundliche Begrüßungsworte eines mir so komplett Unbekannten, der offenbar eine Aufwartung voraussetzte, nachdem ich mir das Grundstück unter die Nägel gerissen hatte. Irritiert vom Gehörten formuliere ich eine zaghafte Mischung aus Rechtfertigung und Entschuldigung, obwohl ich eigentlich selbst nicht verstehe, was dieser Mensch von mir will. Wahrscheinlich ist es Höflichkeit, die mein Handeln bestimmt. Ist dieses peinliche Geplänkel mit kurzem Namensaustausch vollzogen, endet das Gespräch aber nicht. Stattdessen beginnt er, ungefragt aus dem Nähkästchen zu plaudern, über das Dorf zu berichten und über allerlei anderes privates Zeugs, was für Zaunbekannte viel zu weit geht. Ich lausche zumeist mit offenem Mund, nicke hier und da und lasse kurze Sätze des Verständnisses fallen, bin aber ganz gegensätzlich fassungslos.

Schließlich erlöst er mich und verabschiedet sich kurz angebunden. Mir schwant nicht Gutes, als ich noch lange auf den Zaun starre und über diese Zusammenkunft nachdenke.

© Patrik Bruna 2025-01-23

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Herausfordernd, Komisch, Angespannt
Hashtags