by Nora Beiteke
Sie saßen in lockerer Runde an diesem Tisch, zusammen, nach Ende der Konferenz. Eigentlich war es nicht ganz angemessen ihm gegenüber so locker zu sein, aber die Hierarchie hatte sie noch nie beeindruckt. Sie sah immer Menschen, nicht Posten. Ihr Blick verfing sich in seinem. Und blieb hängen. „Ist das ein Flirt oder ein staring contest“ fragte sie, ohne den Blick abzuwenden. Klar, dass ein Mann wie er zu keiner Herausforderung Nein sagen konnte. „Ein staring contest, offensichtlich“, antwortete er und schaute ihr noch tiefer in die braunen Augen. Ihre Blicke verschränkten sich, die Kollegen feixten. „10 Euro auf Elise!“ rief der eine, „auf keinen Fall, das wird Paul gewinnen“ der andere. Ihre Blicke trennten sich nicht. Kollegen kamen und gingen, rissen Sprüche, es wurde zu Hintergrundrauschen. Auch das Verstreichen der Zeit war nicht ersichtlich. Aber der Blickkontakt hielt, kurzes Blinzeln wurde direkt vom erneuten Verschränken in der bedingungslosen Aufmerksamkeit und Fixiertheit des anderen abgelöst. Ein große Weite stellte sich ein in ihrer Brust. Ein Gefühl, wie auf ein Meer, einen Himmel zu schauen. Eine Aufgehobenheit, eine tiefe Verbundenheit stellte sich ein. Sie waren beide wie gebannt, gefangen und doch endlich völlig frei. Eine leise Freude schlich sich ein, wie mit wehenden Haaren über den Strand zu laufen. So saßen sie da, die anderen verschwanden irgendwie, irgendwann. Das Gefühl steigerte sich zu einer Intensität, die sich wie ein flehendes Beten anfühlte. Alle Dämme in ihren Inneren rissen, alle alten Wunden, die tiefsten Tiefen ihrer Seele freigelegt. Sie fing an zu weinen, ohne den Blick abzuwenden. Dann kamen auch ihm die Tränen. Sie waren wie verlorene Kinder, die sich endlich ineinander gefunden hatten und gut aufgehoben waren. Bereit, die Schmerzen zu zeigen, da aneinander in Sicherheit. Er hielt es nicht mehr aus, zog sie zu sich, küsste sie voller Hingabe. Flüsterte immer wieder ihren Namen, Elise, Elise, Elise. Zog sie in sein Hotelzimmer. Ihre Körper verfingen sich ineinander wie ihre Blicke. Am Ende riskiert er nur einen kurzen Blick. „Was ist da nur passiert?“ Sie war ratlos, tief angefasst. „Ich weiß es auch nicht, aber ich glaube, alles was in mir ist ist auf einmal spürbar geworden. Und ich fühle mich so gut aufgehoben, so sicher bei dir.“ Er nickte. „Ich mich bei dir auch.“
Am nächsten Abend, sie hatten den Tag in getrennten Panels verbracht. „Warum warst du so wütend heute Nachmittag“, fragte sie ihn. „Woher weißt du das?“ war sein Konter, dann: „warum warst du so nervös und ängstlich?“. Sie zuckte zusammen. „Ist das jetzt so? Dass wir gegenseitig unsere Gefühle spüren können, obwohl wir nicht in einem Raum sind?“ Er schaute fragend an. Mit einer großen Zuneigung im Blick. „Vielleicht ist das so.“ Später noch, sagte sie: „Lass uns etwas ausprobieren. Ich geh auf mein Zimmer, und irgendwann rufst du mich dann, nur mit deinen Gedanken. Du schreibst die Uhrzeit auf einen Zettel.“ Nach zwanzig Minuten stand sie wieder vor ihm. Exakt dreißig Sekunden nach der Uhrzeit auf seinem Zettel. Ihre Blicke sprachen von Überraschung und ihrer neuen Verbundenheit. Zehn Minuten später kam er aus dem Zimmer, auch weniger als eine Minute nach ihrem stillen Ruf. Sie erzählten es niemanden. Doch sie konnten sich nie wieder wirklich voneinander lösen. Wie ein Hunger, eine Sehnsucht fanden sie immer wieder zueinander. Bis sie aufgaben und ein völlig unerwartetes Paar wurden.
© Nora Beiteke 2024-04-26