Dating

Alrun Cohen

by Alrun Cohen

Story
Wien 2021


Diesmal stolpert sie über Anton, einen aufstrebenden Künstler, zu einem Spaziergang verabredet. „Das kann unmöglich Er sein?...“ raunt sie innerlich entsetzt, als sie mitten im Sommer einen Mann mit Lederstiefeln, wildem Haar und zerknittertem T-Shirt am Treffpunkt entdeckt. Mit seinen Fotos im Dating-Portal hat sein Erscheinen wenig gemein. Soll sie stillschweigend umdrehen? Nein, das wäre doch oberflächlich und gemein. Freundlich begrüßen sie einander und spazieren zum Donaukanal.

Das Gespräch füllt sich mit bunten Erzählungen, seinen Erzählungen. Über seine Herkunft aus Tirol, seine witzige Schwester und deren quirlige Kinder, seinen schwierigen Vater und dessen autoritär-wohlwollenden Erziehungsstil, seine abstrakt-digitale Kunst, die zu komplex sei, um sie in einem einzigen Treffen beschreiben zu können, seine letzten Dates und eine Legion von Verehrerinnen.

Sie ist völlig perplex, als er während des Erzählens plötzlich seinen Zeigefinger und Daumen seiner rechten Hand zusammendrĂĽckt, ihrem Gesicht näherkommt und ihr mit den beiden Fingern ĂĽber eine Augenbraue streicht „Mah, duuu hoscht jo buschige Augenbrauen!“. Alles passierte so schnell und ĂĽberraschend, dass sie noch bevor sie den Schock verarbeiten konnte, bereits der nächste Moment ĂĽberrumpelte. Denn als sie der Weg unter einen Baum mit hängenden Ă„sten durchfĂĽhrt, veranlasst dies ihr Date dazu, einen Kuss vorzuschlagen, stĂĽnden sie doch gerade unter einem Mistelzweig. „Aber ja natĂĽrlich, wie magisch…“, denkt sie, noch immer in Schock ĂĽber den vorherigen Moment. Den Kuss ablehnend, kann sie seine Enttäuschung nicht fassen. „Was lässt ihn glauben, dass unser Date kussverdächtig ist?!“

Nur ein paar Schritte weiter erreichen sie die Stufen, die sie vom Donaukanal zurück in die Zivilisation führen, umgeben von Fluchtwegen und Zeugen. Während sie über den kürzesten Weg zur U-Bahn nachdenkt, hört sie von der Seite: „Wollen wir noch auf ein Getränk gehen?“ Beinahe beginnt sie, von seiner Realitätswahrnehmung und dem Selbstbewusstsein, das ihn wie ein Superheld zu tragen scheint, fasziniert zu sein. „Wie kann es sein, dass wir dasselbe Treffen wahrnehmen, wie ein Jäger und das Reh?“ staunt sie in Schweigen. „Sorry, ich muss los“, lehnt sie seinen Vorschlag ab, im Nachhinein mit Gewissensbissen ihr selbst gegenüber, sich dafür auch noch entschuldigt zu haben.

Zur Krönung der Faszination erreicht sie am nächsten Tag noch eine Nachricht von Anton. „Hey, mir hat’s voll Spaß gemacht. Hättest du morgen Abend wieder Zeit?“ Nein. Das Ende.


© Alrun Cohen 2024-02-04

Genres
Novels & Stories, Humor & Satire
Moods
Komisch, Unbeschwert, Lighthearted, Funny