Liebe

Angela Buchegger

by Angela Buchegger

Story

Milla erwacht ganz plötzlich, mitten in der Nacht. Es sind so viele Gedanken, die durch ihren Kopf spazieren und die sie nicht weiterschlafen lassen. Es war ein Traum, der dieses Gedankenkarussell in Gang gesetzt hat.

Ja, um die Liebe ging es gerade eben. Gestern hatte sie wieder einmal gesehen, wie schnell so eine Liebesgeschichte enden kann. Und jetzt spuken diese Bilder in ihrem Kopf. Sie sieht das große weiße Auto, wie es in den Kirchhof einfährt. Die Türen werden geöffnet. Zwei schwarz gekleidete Herren schieben den blumengeschmückten Sarg in den Innenraum. Mit einer liebevollen Geste streicht ihr Cousin nochmals über das Kopfende des Sarges. Tränen rinnen über sein Gesicht. Die Türen schließen sich, der strahlend weiße Wagen verlässt den Kirchhof. Da steht er, allein. Fort ist sie, seine große Liebe. So vieles hatten sie gemeinsam durchlebt. Jetzt ist der Platz neben ihm leer. Er hofft so sehr darauf, dass sie in die Hände eines ewig liebenden Gottes fällt.

Was bedeutet dieses Wort, Liebe, überhaupt, sinniert Milla weiter. Auch für sie strahlt es ein ultimatives Gefühl von Geborgenheit und Wärme aus. Und was und wenn hat sie nicht schon alles geliebt. Dankbar denkt sie zurück an den Tag, an dem sie ihre große Liebe kennenlernte. Er schläft jetzt an ihrer Seite. Immer noch und er ist ihr Ruhepol und ein weiches Ruhekissen, auch nach vierzig Ehejahren. Es war ein Leben voller Lieben und Lachen, voller Kinderstimmen, voller Freude und Liebe zueinander. Dann gab es da auch noch die gemeinsame Liebe zu Pflanzen und Tieren, zur Heimat und all den Menschen, die mit ihnen am Weg waren. Sie hat ihrem Leben einen weiteren Sinn gegeben. In ihrer gemeinsamen Liebe fand so vieles einen Platz und Seelennahrung, um zu gedeihen.

Jede Liebe hatte eine andere Nuance, ja eine ganz besondere Intensität. Die Liebe zu ihren Kindern fühlte sich immer anders an, als die zu ihrem Ehemann. Dann war da noch die Liebe zu ihrem Beruf, die Liebe zu den Bergen, zu ihren Freundinnen, zu den Enkelkindern und nicht zuletzt zu ihrer alten Mutter.

Schon eigenartig, denkt sich Milla. Ich habe soviel Liebe verschenkt und es ist nie weniger davon geworden. Jedoch wie steht es um die Liebe zu mir selbst? Doch, die ist auch präsent. Ohne sich selbst zu lieben, kann man ja keine Liebe weitergeben. Es ist richtig, sich auch selbst wertzuschätzen.

Ja, es ist die Liebe, die unser Leben so lebenswert macht, denkt sich Milla. Sie kann Tage und Stunden so unendlich zum Glänzen bringen. Aber im Gegensatz, wie viele dunkle Seelennächte werden oft durchlaufen, wenn die Liebe fehlt.

Genau vor dieser Situation fürchtete sie sich schon immer am allermeisten. Schrecklich wäre das für sie, alleine aufzuwachen, alleine den Tag zu verbringen, ohne ein liebevolles Wort zu vernehmen. Und genauso schrecklich wäre es, wenn niemand da wäre, den sie ihre Liebe schenken könnte. So wünscht sie sich vom Herzen, noch viel gemeinsame Zeit zu gewinnen, um das Leben von allumfassender Liebe umfangen, ausklingen zu lassen. Hoffentlich weicht dieser Engel der Liebe nie von der Seite. Dafür betet sie.

© Angela Buchegger 2021-02-11

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Novels & Stories
Moods
Abenteuerlich
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