by freudentanz
Meine Freundin und ich in einer urigen EX-YU-Bar in Wien. Tito lächelt uns von jeder Seite an, die (ex-)jugoslawischen Klassiker aus einer anderen Zeit trällern fröhlich und erfüllen den Raum, auf maximaler Lautstärke.
Ich stehe euphorisch auf, als mein Lieblingshit spielt. Ein junger Kerl mit rundem Gesicht steht einige Meter von mir entfernt und hat mich seit meiner Ankunft im Lokal, vor 30 Minuten, bereits ins Visier genommen. Ich spüre seine Blicke und nippe weiter cool an meinem Getränk. Meine Freundin ist gerade dabei mir etwas aufgeregt zu schildern.
Nach ein paar Minuten stellt sich jemand neben mich. Es ist der starrende Typ. “Hi, möchtest du etwas trinken?”
Das Gespräch fängt so wie viele Flirtgespräche an. Ich sage “nein danke” und er fragt dann aus Neugierde alle Fragen, die ihm einfallen, um das Gespräch nicht abzubrechen. Ich antworte lachend und finde seine lockere Art nett. Also ist er nicht nur starrend, sondern auch nett.
Als ich nach einer Stunde nicht mehr stehen kann in meinen hohen Schuhen und mein Platz besetzt ist, bemerkt er es, dreht sich automatisch um und geht zum anderen Ende des Lokals. Was kommt jetzt, denke ich.
Plötzlich entdecke ich ihn in der Menschenmenge, wie er sich mit einem wuchtigen Barhocker, den er verkehrt herum in die Luft hält, durch quetscht. Damit könnte er getrost jemanden erschlagen.
“Bitte die Dame”, sagt er und stellt den Hocker vor mich hin.
Ich bin verblüfft, von so viel Einsatz, und muss lachen.
Der jetzt nicht mehr ganz so fremde Unbekannte tanzt locker zu dem Rock-Sound neben mir. Er reißt ständig Witze und bewegt sich geschickt und unbeschwert. Mit viel Charme obendrein.
Ich frage ihn: “Aber du bist nicht aus Wien?” Damit wollte ich sagen, dass er kein gebürtiger Wiener mit EX-YU Wurzeln ist.
Er lacht, fragt: “Woher weißt du das?”
Ich nicke, und denke mir, das war klar. Ihm das zu erklären, ist unmöglich. Es ist seine lockere natürliche Art zu scherzen, seine Bewegungen, wenn er spricht, denkt oder mich anblickt. Es ist die Art, wie er offen auf Menschen zugeht, ohne drei Promille intus zu haben oder einem Ego-Trip zu folgen. Er erzählt mir, dass er noch nicht lange hier in Wien ist und aus einem kleinen Dorf am Balkan kommt. Ich lächle wieder, finde seine offene Art ungewöhnlich, aber süß und authentisch. Das ist das richtige Wort, als mir am nächsten Tag die Szene mit dem Barhocker in den Sinn kommt. Authentizität. Sein wie man ist, ohne Angst vor Ablehnung. Und auch wenn ich ihn nie wieder sehen werde (man weiß ja nie?) denke ich zurück an den Moment, wie aufrichtig er gelacht hat. Und ich frage mich, Hat eine ganze Generation verlernt authentisch und locker zu sein? Macht uns die Metropole zu kühlen Robotern?
© freudentanz 2023-09-04