by L RD
Im Urlaub ĂŒbermannt mich ein Moment von Kontrollverlust. Maniakalisch durchforstet ich die digitalen Weiten nach der Frau, die man anscheinend so schwer vergisst. Sie schreibt Kolumnen und sie schreibt ĂŒber ihn, allerdings kodiert sie seinen Name: Julius. In ihrer Kolumne âBei Paulaâ, die in einem unabhĂ€ngigem Onlinemagazin erscheint, greift sie Themen auf, die in Kneipen eben aufkommen. Ich finde heraus, dass sie ein Praktikum bei der Abendzeitung gemacht hat, Saketini ansprechend findet und brĂŒnett ist. Das saftige kastanienbraun ummalt ihr unertrĂ€glich mediokres Gesicht. Wenn sie spricht, betont sie scharf das âSâ. Sie hat einen anstĂ€ndigen Literaturgeschmack und eine makellose ManikĂŒre. Und ansonsten ist sie echt okay, aber durchschnittlich. Also wozu die UmstĂ€nde, Julius?
Yuri betont oft, dass ihm das Poetische an mir gefĂ€llt. Dass ich Worte kuratiere, bevor ich sie in SĂ€tze verwandle. Dass ich mich gewĂ€hlt ausdrĂŒcke und keine Rechtschreibfehler zulasse. Er mag das alles, weil es ihn an sie erinnert. Manchmal sehe ich, dass er diese beschissenen Poesieposts Ă la Max Richard LeĂmann auf Instagram liket. Dann frage ich mich immer, ob er an sie oder an mich denkt.Â
Im nĂ€chtlichen Palermo drĂŒcke ich mir etliche Sbagliato rein und sorge fĂŒr genug Wegbier. Der Rausch sitzt und ich entwickle das BedĂŒrfnis mich Yuri mitzuteilen. Mit einem Auge leicht zugedrĂŒckt, tippe ich in der Notizfunktion meines Telefons.
Du hast ihre Teile in mir gesucht und zu deiner groĂen EnttĂ€uschung sie dort nicht gefunden. Du rast durch Stadtviertel, um sie irgendwo einzuholen und dann stehst du trotzdem jedes Mal auf meiner Matte. Im GepĂ€ck nur dein verletzter Schatten. In meiner Anwesenheit bist du abwesend. Ich habe dir so viel von meiner GroĂartigkeit abgegeben, dass ich angefangen habe an meiner eigenen zu zweifeln. Du bist reine Entropie. Die NormalitĂ€t, die du anscheinend so dringend suchst, ist ein Irrgarten und der Weg dahin dein tĂ€glicher Eskapismus. Yuri, wir mĂŒssen damit aufhören.
Noch eine Nachricht, die ich nie abschicken werde. Als ich am nĂ€chsten morgen das B&B verlasse und ins Taxi steige, packe ich die leeren Flaschenleichen und ZigarettenkrĂŒppel in eine PlastiktĂŒte, um Beweise andernorts zu vernichten. Die Flaschen klimpern wĂ€hrend der Taxifahrt heftig aneinander und beim Aussteigen offenbaren sich dem Fahrer im Licht der StraĂenlaterne die Ăberbleibsel meiner Nacht. Ein verstĂ€ndnisvoller Blick begleitet mich an die platforma cinque.Â
Zu Hause angekommen holt mich eine Traurigkeit ein, die ich nicht eingeladen habe. Ich beschlieĂe die BettwĂ€sche zu waschen unter der Yuri und ich bis vor Kurzem notch waren. Ich rieche daran, vielleicht ist er noch da. SehnsĂŒchte, die nicht erwiedert werden, werden zur Sucht.
© L RD 2024-07-10