von Verena Hampl
Schweiß. Überall. Ich ziehe an meinem T-Shirt. Alles klebt, so wie Frischhaltefolie, die zu eng um ein Pausenbrot gewickelt ist. Der süßliche Duft von abgestandenem Bier kriecht mir aufdringlich in die Nase. Aus dem Gang schallen pausenlos die Gesänge meiner Mitfahrer („Und ich sag‘: Ey, ab in den Süden!“). Nicht ein einziger Luftzug schafft es in unser Abteil. Viertel vor elf zeigt das Display auf meinem Nokia an. Noch eine gute Stunde bis München. Mit geöffneten Beinen hängt mein bester Kumpel Tim neben mir im Sitz. Seine rechte Hand umklammert eine Flasche Augustiner wie ein Krebs ein Stück Treibholz. Vielleicht hätte ich mir an dem kleinen Kiosk im Bahnhof auch ein Bier kaufen sollen. Dann hätten mich die Hitze und der Alkohol genauso ausgeknockt. Stattdessen drückt mir jetzt der Liter Wasser auf die Blase, den ich in den ersten zwanzig Minuten Bahnfahrt in mich hinein geschüttet habe. Ich löse mich von meinem Sitz und schlängle mich durch das stickige Abteil. Raus in den Gang, vorbei an einer Gruppe Jungs in Tracht, die so aussehen, als hätte jeder einzelne von ihnen bereits einen ganzen Kasten Bier vernichtet. „Kumst a mit auf d’Wiesn?“, lallt einer. Auf dem Kopf trägt er einen viel zu großen Schlapphut, der ihm immer wieder halb ins Gesicht hineinrutscht. In der engen Kabine kriecht mir der beißende Geruch von Urin die Nase hoch. Immerhin dringt etwas Fahrtwind durchs Fenster. Ich bin noch gar nicht fertig, da hämmert jemand von außen mit den Fäusten gegen die Tür. Ich lasse mich nicht hetzen, wasche mir in Ruhe die Hände. Das Hämmern wird lauter, kräftiger. Genervt schwinge ich die Tür auf, als mir mein Alptraum in Schlapphut und Lederhose entgegen stürzt. Aus dem Augenwinkel sehe ich gerade noch die aufgeblähten, roten Backen. Doch da ist es schon zu spät: Mit einem lauten Stöhnen, das klingt wie ein röhrender Hirsch während der Brunftzeit, reißt der Typ in Tracht seinen Mund auf und übergibt das ganze Bier, das er über den Vormittag getrunken hat, an mich. „Herzlichen Glückwunsch“, denke ich mir. Dem Geruch nach zu urteilen, haben sich hier auch noch die Überreste eines halb verdauten Döners untergemischt. „Das ist ja ekelhaft, Martin! Du riechst, als hättest du in einer Kläranlage gebadet!“ Ich kann Tim seinen angewiderten Blick nicht verübeln. Im Getümmel der Münchner S-Bahn Haltestelle dreht sich eine Frau im pinken Minidirndl nach mir um und hält sich die Nase zu. „Ich hab mich nicht selbst vollgekotzt!“, rechtfertige ich mich für den Gestank. Doch sie schüttelt nur den Kopf und dreht sich wieder um. „Lass uns wenigstens nochmal kurz mit der S-Bahn in die Stadt fahren, damit ich mir bei H&M irgendein billiges T-Shirt und eine neue Hose kaufen kann“, flehe ich Tim an. „Vergiss es, wir kehren jetzt nicht mehr um. Die Jungs warten schon auf uns.“ Ein Meer aus Trachtenträgern schiebt uns vorwärts. Wir kommen an einer kleinen Bude vorbei, an der es Brezen und gebrannte Mandeln zu kaufen gibt. Auf einmal ruft Tim: „Schau mal, da unten ist ein Secondhandladen. Da kannst du dir ein paar hübsche Shorts und ein Hawaii-Hemd kaufen.“ – „Ha, ha, witzig“, stöhne ich. Dabei ist es tatsächlich der schnellste Weg, den Gestank loszuwerden. „Okay, ich komme nach. Wo treffen wir uns nochmal?“ – „Im Hornbräu-Zelt!“, ruft Tim mir zu und biegt um die Ecke. Da ahne ich noch nicht, dass ich ihn heute nicht mehr wiedersehen werde.
© Verena Hampl 2023-08-31