13:31 Uhr

Helena Singer

von Helena Singer

Story

Die Tür wurde aufgerissen, das grelle Licht angemacht.
Drei Menschen, einer im weißen Kittel. Hallo, Schichtwechsel, Wie geht’s uns heute, Plastikverpackungen aufreißen, am Bett wackeln, laut reden, Mülleimer auf, Mülleimer zu, Licht noch heller, Infusion anhängen, MSI, noch eine Tablette, MCP, die Nebenwirkungen sind eben so, kann man nichts machen, am Bett wackeln, laut reden, Licht wieder aus, Schönen Tag, Tür zugeknallt.

Er stöhnte leise, drehte sich auf die Seite, ganz unbeholfen, das Gesicht mir abgewandt. „Ich mag nicht mehr“, murmelte er und ich tat so, als hätte ich es nicht gehört. Mir fiel keine Erwiderung ein, kein Gegenhalten. Die Erinnerung an das Schöne schien wieder meilenweit entfernt zu sein. „Willst du schlafen?“, fragte ich und löste meine überschlagenen Beine. Die Nervenenden brannten und es dauerte ein paar Sekunden, bis der Schmerz nachgelassen hatte. Dann überschlug ich sie erneut, nur diesmal andersherum. Er stöhnte leise. Ich konnte nicht sagen, ob vor Schmerz, vor Traurigkeit oder vor Müdigkeit. Vermutlich war es alles drei und vermutlich noch mehr, aber darüber sprach er nicht gerne.

„Du kannst ruhig schlafen, wenn du möchtest“, sagte ich. „Ich geh‘ nicht weg.“ Ein weiteres Stöhnen, aber sanfter. Ich beobachtete ihn eine Weile. Er bewegte sich kaum, nur ein schwaches Heben und Senken der Brust, ab und an zuckten seine Finger. Die Hände schauten als Einziges unter der gestreiften Decke hervor, der Rest des Körpers schon begraben. Ich rückte etwas auf dem Stuhl umher. Meine linke Hand hielt sich am Kopfgitter des Bettes fest, nicht, weil es einen Zweck erfüllt hätte. Nur um irgendwas im Griff zu haben. Und dann starrte ich auf die graue Wand und tat so, als würde ich auch die Schwere in meinem Inneren einfach nicht bemerken.

„Wir haben so vieles nicht gesehen“, murmelte er irgendwann. Ich wusste erst nicht, was er meinte. „Wir wollten noch so viele Orte bereisen. Und jetzt…“ Er sprach leise, noch immer den Kopf abgewandt und ich spürte die Traurigkeit, die das Ende seines Satzes in sich ertränkt hatte. Ich spürte sie in der kühlen Zimmerluft, ich spürte sie auf meiner Haut, im Nacken, sie stellte mir all die kleinen Härchen auf. Und ich schien sie einzuatmen, zu verschlucken, zu resorbieren, denn nach kurzer Zeit war sie überall. „Wir können sie sicher trotzdem besuchen, diese Orte“, sagte ich und mein Griff um das Kopfgitter wurde noch fester. Er schnaubte auf, schüttelte den Kopf und sagte nichts. Ich starrte auf meine Fingerknöchel, die ganz hell hervortraten.

Ich wollte dagegenhalten, wollte Vorschläge machen, ihn mit der Begeisterung anstecken, die wir einst gemeinsam gefühlt hatten, aber ich saß einfach nur da und hörte mich schweigen. Und ich dachte an die Orte, unsere Pläne und eingezeichnete Routen. Und sah, wie seine Augen leuchteten, wie er konzentriert kleine bunte Haftnotizzettel in die Reiseführer klebte – bis die Erinnerung daran wieder verblasste. Dann starrte ich auf Grau und atmete gegen die Schwere an. „Erzähl mir davon“, sagte er plötzlich und drehte seinen Kopf in meine Richtung. „Bitte, erzähl mir von unseren Reisen dorthin.“ Und er versuchte zu lächeln.

© Helena Singer 2025-08-30

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Herausfordernd, Emotional