Alles von mir

Gino Dola

von Gino Dola

Story
2023

Ich bin müde. Müde vom Tag, meinen Gedanken. Schlafen, nur noch schlafen, das ist alles, was ich möchte. Neben dir; aufwachen. Beides wird sich nicht erfüllt haben, wenn ich heute, nur wenige Stunden später aufwache. Zu spät aufwache, wie immer in meinem Leben.

Einsam, frierend und verwirrt wickle ich mich von der Couch. Wieder mal war der Weg ins Bett zu weit. Erschien mir schier unendlich weit, vor allem unnötig. Ist doch egal, wo ich alleine schlafe, huscht es mir durch meinen noch verschlafenen Kopf. Ich höre das Lied All Of Me leise im Wohnzimmer ankommen. Die ganze Nacht dudelte der Song aus dem kleinen Lautsprecher im Schlafzimmer. Die ganze Nacht. Die ganzen vier Stunden. Ich sinne nach, was habe ich so Wichtiges getan, statt zu schlafen? An dich gedacht, beantwortet der übervolle Aschenbecher meine Gedankenfrage. Meine Augen brennen, sind feuerrot. An dich gedacht und geweint. Das ist scheinbar alles, was ich noch kann. Woher kommen die endlosen Tränen? Warum nur? Etwas wacher als eben noch verschütte ich meinen Kaffee neben die Tasse. Ich ärgere mich nicht einmal mehr. Aus Gewohnheit kann mein Tag nur miserabel starten. Wie sollte ein Tag ohne dich auch schön sein? Ich verliere mich in Gedanken an unsere Zeit, während ich durch meine in Kartons gepackte Wohnung Richtung Bad laufe. Ich ziehe bald um, schon wieder. Noch vor ein paar Tagen war das hier mein Zuhause. Jetzt ist es einfach ein trister und liebloser Ort; kalt, ungemütlich, funktional. Alles, was ich nicht brauche, habe ich in Kartons verstaut, sorgsam verpackt und weggepackt. Hab ich dich aus Versehen mit eingepackt?, schmunzelt mir ein Gedanke durch den Kopf. Ich spucke den emotionalsten Teil des Liedes mit, während meine Zahnbürste ihrer täglichen Routine in meinem Mundwerk nachgeht. I’ll love you for ever, singe ich in Gedanken neue Zeilen hinzu. Ich trinke den Kaffee von gestern, der noch immer auf dem sonst leeren Wohnzimmertisch steht. Ein kleiner, brauner Rand rahmt die rosafarbene Tasse ein, die Crema fehlt. Er schmeckt bitter kalt, was hatte ich erwartet? Ich war noch immer zu müde, vergaß, dass ich mir eben erst eine neue Tasse Kaffee eingegossen hatte. Doch sie war nicht bei mir, so wie du. Der Tag kann nur besser werden, unausgeschlafen freue ich mich, heute noch keinen sentimentalen Tiefschlag durchlebt zu haben. Bist eh viel zu alt dafür, ermahne ich mich selbst. Vielleicht ist auch einfach keine Träne mehr in mir. Mein letzter Gedanke war gerade erst verflogen, da riss mir der Song doch noch Tränen aus meinen Augen. Ich hasse diesen Tag. »Alexa mach die Musik aus!«, schreie ich beim Verlassen der Wohnung, wische mir beim Umdrehen noch schnell die letzte Träne aus dem Gesicht. Nur noch dreißig Tage, nur noch dreißig Tage, ermuntere ich mich selbst, länger musst du diesen tristen Ort nicht ertragen. Wie kann ein Zuhause nach so langer Zeit, in so kurzer Zeit, so fürchterlich farblos werden? Die Autotür fällt ins Schloss, das dumpfe Geräusch befreit mich aus meiner Gedankenjagd. Ich starte den Motor, bunte Lichter blitzen, der Motor heult auf, die Musik startet. Alles, was ich bin und jemals war, gab ich dir. Ich singe laut mit.

© Gino Dola 2023-12-19

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel, Emotional, Reflektierend, Traurig
Hashtags