von Georg Zenz
An der Adria tummeln sich Tausende Badende. Einen Ozean und Kontinent weiter und 6 Km höher keuche ich mir bei -18° die Lunge aus dem Leib. Dennoch schwitze ich wie in der Sauna. Der Rucksack drückt und die Füße schmerzen. Joe geht es schlecht.
Zwischen den beiden Gipfeln des Huascaran schlagen wir das letzte Lager auf. Von hier ist es nicht mehr weit zum 6768 m hohen Gipfel. Es sind viele Teams unterwegs. Jede Gruppe mit dem Ziel „Wir müssen den Gipfel erreichen“. Das „Wir“ heißt aber in der Gruppe „ich“.
Gestern Abend das Gespräch mit Francesco aus Mexiko. Wir reden Stunden von unseren Touren, wissen aber beide nicht, dass er 36 Stunden später tot sein wird. Erschlagen von einer Lawine, 500m unterhalb des Gipfels.
Joes Zustand verschlechtert sich. Er kann sich nicht mehr auf den Beinen halten. Akute Höhenkrankheit. Er liegt im Zelt und phantasiert. Pierre ist Arzt, verabreicht Joe eine Spritze und verordnet den sofortigen Abstieg. Eine Nacht in dieser Höhe würde er nicht überleben. Pierre bietet an, da er und seine Team noch heute absteigen wollen, Joe mit nach unten zu nehmen. Ich soll dafür Michel aus seiner Gruppe bis morgen versorgen. Michel war heute am Gipfel und ist für den weiteren Abstieg zu schwach. Er will noch eine Nacht hier im Lager bleiben und könnte Joes Platz im Zelt einnehmen.
Die Nacht wird zum Albtraum, -30° C. Der Sturm wütet wie eine Bestie und rüttelt an der Zeltplane, an Schlaf ist nicht zu denken. Ich kämpfe gegen einen Riesen, hänge mit meinem Gewicht am Zeltgestänge. Michel hat Fieber, hustet wie ein Kettenraucher und kotzt ins Zelt.
Der Sturm hat sich gelegt. Müde breche ich am Morgen in Richtung Gipfel auf. Michel gehts besser, er macht sich auf den Weg nach unten.
Mexikaner kommen mir entgegen und erzählen vom Tod Francescos. Sie sind heute früh von einer Lawine überrascht worden. Francesco war sofort tot. Sie haben ihn dort oben in einer beerdigt. Meine Tränen frieren an den Wangen fest.
Ich gehe weiter, dann ein lautes Krachen. Schneestaub dringt in Mund und Nase. Eine Lawine rast an mir vorbei. Zwei lange Minuten.
Wie lange doch zwei Minuten sein können! Dann Stille. Ich habe Angst vor dieser Stille, den Lawinen, vor diesem Berg.
Weg! Hinab ins Tal und von dort aus sicherer Entfernung zu den Gipfeln schauen. Aber noch bin ich der Stratosphäre näher als dem Tal.
Zwei Tage später liegen die Gletscher hinter mir. Ich treffe auf einen Bauern. Er versucht der steinigen Kargheit auf 3500m Leben abzugewinnen. Nur mit harter Arbeit ist dies machbar. Und durch das Kauen von Koka. Er gibt mir eine Handvoll. Vielleicht helfen die das Gewicht des Rucksacks weitere 4 Stunden zu ertragen. Kurz vor dem ersten Bergdorf, werfe ich den Rucksack auf den Boden und verspreche: “Nie wieder Berg“. Ein Versprechen das im Tal wieder vergessen sein wird.
Ich lege mich ins Gras und schlafe sofort ein. Erst spät in der Nacht werde ich frierend wach und gehe weiter.
Weit oben, hinter mir, glänzt im Mondlicht der Huascaran. Lichtjahre entfernt.
© Georg Zenz 2020-03-21