von Peter Rosenegger
Während der Weltkonferenz UNCED 1992 war ich in einem Hotel an der Avenida Atlantica, hinter der berühmten Copacabana einquartiert und verbrachte meine Freizeit am Strand. Atemberaubende Weiblichkeit, erotikgeladene Atmosphäre unter gleißender Tropensonne.
Anfangs führte ich ein echtes Mauerblümchen-Dasein am Rande dieser herrlichen unbeschwerten Badewelt. Das änderte sich schlagartig, nachdem ich dem für unseren Sektor zuständigen Bademeister über ein paar gespendete Drinks näher gekommen war. Paulo Cäsar Azevedo de Azevedo, so hieß der besonders gut aussehende junge Mann mit leuchtend weißen Zähnen und schwarzen Locken, war der Schlüssel zu der gesellschaftlichen Akzeptanz in dem Sektor: er wusste, ob noch ein Platz in einer Mannschaft zum Beachvolleyball frei war und seine Empfehlung genügte, um aufgenommen zu werden, er wusste über alle Mädchen bis zu den intimsten Details Bescheid.
Ich gönnte mir noch ein Eis auf dem Weg zu meinem Stammplatz, als SIE kam, und sich neben mich stellte, in gelbem Bikini mit blauer Schirmkappe, ihr dunkles Haar zu einem kessen Pferdeschwanz getrimmt. Ich hatte sie schon vor Tagen aus der Ferne bewundert, die tollste Frau am Strand, herrliche Beine, blitzende, makellose Zähne, straffe Brüste, schlank und elegant, mit diesem olivenfarbigen Teint der Mulatta.
Sie sah mein unter dem Arm eingeklemmtes Badetuch mit Hotelemblem und schlug vor, schwimmen zu gehen, lustig und locker mit jenem siegessicheren verständnisvollen Lächeln im Gesicht, das Frauen oft so haben, die um ihre Wirkung auf Männer Bescheid wissen. Wir überquerten die Avenida und wäre ich vor Begeisterung beinahe in einen Bus gelaufen, doch Roberta ergriff im letzten Augenblick meine Hand und riss mich zurück. Von da ab ließ sie meine Hand nicht mehr los, sodass wir in dem knöcheltiefen weißen Sand wie zwei Kinder lachend hinunter zum Wasser schwebten. Wir breiteten mein großes Badetuch aus. Ich legte mich mit dem Bauch darauf, um meine Erregung zu verbergen und fing an zu träumen, wie ich künftig häufige Flüge nach Rio daheim rechtfertigen könnte. Roberta stürzte sich in die Fluten.
Ich wollte folgen, als mich Paulo Cäsar zur Seite nahm und mich aufmerksam machte, dass Roberto, wie er meine wunderschöne Gefährtin plötzlich nannte, ein stadtbekannter Transvestit war. Ich war schockiert, nie im Leben wäre mir die Idee gekommen, dass dieses herrliche, perfekte weibliche Wesen ein Mann sein könnte. Als Roberta aus dem Wasser auf den Strand tänzelte, sah sie mich fragend an. Ich wich ihrem Blick aus, starrte hinauf zum Corcovado und haderte mit meinem Schicksal: sucht doch jeder Mann nach seiner Traumfrau. Manche finden sie rechtzeitig und heiraten sie, das sind die ganz Glücklichen, andere wieder träumen an der Seite ihrer Gattin ein Leben lang erfolglos davon. Ich hatte sie nun gefunden und am selben Nachmittag wieder verloren.
Wie grausam geht’s denn noch?
© Peter Rosenegger 2020-10-20