von Louis Eikemper
Es sei einst im meistbesuchten Lokal von Mineapolis – dem japanischen Spezialitäten-Restaurant »Shinoke Nimbus« – das schärfste Damast Messer gewesen, dessen sich der Chefkoch Nabuhiro während der gesamten Laufbahn bewusst gewesen wäre. Bis heute hält sich die Geschichte vom tragischen Verlust seiner legendären Schneide, wie folgt.
Eines warmen Sommertages, als im Restaurant weniger Betrieb als ĂĽblich vorherrschte, hatte sich das legendäre Damast Messer des Chefkochs erfahren und von genug Verdienst gefĂĽhlt. Heimlich aus seiner Halterung entflohen, begann es sich nach Alternativen zur Dauerbeanspruchung durch den ĂĽberaus tĂĽchtig und hart arbeitenden, hektischen Nabuhiro umzusehen. Gerade glitt es ĂĽber die KĂĽchenzeile, als durch das groĂźe, zentrale Fenster die wärmenden Strahlen der Mittagssonne hineinschienen. Ehe das Damast sich versehen hatte, fing das Licht der Sonne an einzuwirken – von so viel Wonne geladen, dass es gar nicht genug bestrahlt werden konnte. In Erkenntnis, wie sich all das Sonnenlicht in ihm widerspiegelte, reflektierte das legendäre Messer voll ĂĽberschwänglichem Stolz zu sich selbst: »Welch Segen! Wie sehr ich doch scheine und glänze. Und ich soll zurĂĽck in diese Halterung kehren, aus der ich ausgebrochen bin? Niemals, auf keinen Fall! Die Götter wollen sicher nicht, dass eine Schönheit wie die meine sich auf solch unrĂĽhmliche Weise verbirgt. Es wäre von Narrentum beseelt weiterhin die Zutaten fĂĽr die immer gleichen Gerichte des hektischen, meist schon in den Morgenstunden völlig entnervten Chefkochs zu schneiden. Man sehe sich mein funkelndes Naturell einmal an! Wer wĂĽrde bei meinem schillernd strahlenden Anblick bitte denken, dass ich fĂĽr Routine geschmiedet worden wäre? Besser ist es wohl, dass ich ebendarum an einem geheimen Ort des RĂĽckzugs schaue, dass ich jeden der mir gewährten Tage in Ruhe erfahre.« In Entrichtung dieser Gedanken verschwand das legendäre Messer des Chefkochs spurlos und wurde viele Monate nicht mehr wiedergesehen. Mit Ablauf dieser Zeit war fĂĽr des Messers Schneide eine lange Weile vergangen und das Damast fĂĽhlte den Drang nach frischer Luft und neuen Taten. Im Eifer verlieĂź es sein Versteck und erschrak zutiefst, als es begann sich im spiegelglatt polierten Fliesenboden der KĂĽche in eigener Betrachtung zu reflektieren. Der einst so majestätische Glanz des Damastes war hässlichem Rost gewichen und ähnelte nun mehr einer alten Säge, als einer legendären Profiklinge. Vom schier unersetzlichen, selbst zugefĂĽgten Verlust schwer betroffen, zweifelte es schlieĂźlich: »Um Himmels willen! Wie viel weiser wäre es gewesen meine Klinge geschärft und in Ăśbung zu belassen, um die feinen Zutaten fĂĽr all die beliebten Rezepte zurechtzuhacken. Meine Oberfläche wäre von Ansehen geblieben und meine Schneidigkeit weiterhin hauchfein! Das wird mein Ende sein, finde ich keine Hilfe.«
Eine ähnliche Trübsal ist auch uns Menschen bestimmt, wenn wir anstatt unsere Tugenden zu verüben, es bevorzugen uns der Faulheit im Müßiggang hinzugeben. Durch Stillstand verlieren auch wir unsere Schärfe und den Glanz unserer Talente, bevor wir vom Rost der Unwissenheit heimgesucht werden.
© Louis Eikemper 2024-08-28