Blaue Einhörner & goldene Elephanten

Beate Schilcher

von Beate Schilcher

Story

Ich bin Kalifornierin mit steirischer Zweitheimat. Auch tausend Jahre Wien, wo ich aktuell gestrandet bin, werden das nicht ändern. Ist so.

Laut Wikipedia sind die Wiener Grätzl Teile von Wohnbezirken und stellen, „wie bei den Kiezen in Berlin eine ‚gefühlte‘ sozialräumliche, alltagsweltliche Kategorie“ dar. Kurz: Grätzl ist gleich Lebensgefühl.

Grätzl sind nicht gleich Bezirk. Die sind sauber abgegrenzt, scharen sich um den Stadtkern und waren früher kleine Dörfer, die nach und nach zusammengewachsen und letztlich der Stadt einverleibt worden sind. Nicht Zellteilung, sondern Zusammenwurschtelung als Wachstumsprinzip. Das können wir hierzulande gut.

Ich wohne im 9. Bezirk, dem sogenannten Alsergrund. Laut Wiki der „siebentkleinste Bezirk Wiens“ (wer denkt sich solche Kategorien aus?). Ob sich rings um mein Haus, hier, im „Lichtental“, neben dem „Himmelpfortgrund“, ein Grätzl befindet? Keine Ahnung. Vielleicht ist es das Schubert-Grätzl? Der Franz ist hier geboren, zwei Häuser weiter, 1797. Gerade 31 Jahre ist er alt geworden. Aber, wenn Sie ein Genie sind und fertig mit Ihrer Mission, dann reichen auch 31 Jahre. Sagt die Frau Professor, die solches weiß.

Für den Fall, dass es Sie einmal hierher zieht, ob wegen Franzl Schubert, der Volksoper oder dem Palais Liechtenstein samt Park, hier ein paar zweckdienliche Hinweise:

Bei mir ums Eck blühen „Die schönsten Seidenblumen von Wien“, und es sind wahrhaft die schönsten, vielleicht sogar von der ganzen Welt. Direkt gegenüber stand noch bis 1962 das „Haus zum blauen Einhorn“: Schicksalsort für Heimito von Doderers Romanfiguren im Gesellschaftsroman „Die Strudlhofstiege“. Die finden Sie ein paar Häuserblöcke weiter stadteinwärts. Zehn Schritte vom Einhorn entfernt: die Himmelpfortstiege und die Apotheke zum Goldenen Elephanten. Mit ph. Die älteste im 9. Bezirk, seit 1766 gibt es sie. Nomen est Omen (die Dickhäuter werden ja bis zu 80 Jahre alt): Meine Apotheke hat stolze 257 Jahre am Buckel. Und junge, kompetente Menschen hinterm Tresen. Besser als umgekehrt.

Aber ich verlaufe mich gerade. Eigentlich schreibe ich nur, weil heute was passiert ist. Dazu müssen Sie wissen, dass ich vor kurzem erfolgreich die Haushaltsversicherung gewechselt und zum Einstand gleich eine Fensterscheibe zerscheppert habe. Also musste eine Glaserei her. Auch die gibt es in der Nähe und sie hat folgendes Handwerks- und Service-Wunder vollbracht: Fenster abholen und repariert liefern, inklusive Telefonieren und Schadensmeldungausfüllen … innerhalb von 55 Minuten. Auf der Homepage steht: „Eine Glaserei wie früher“. Aber ehrlich: Wer rechnet denn mit so etwas?

Ich resümiere: Alles in allem ist Wien nicht San Francisco, der Himmelpfortgrund nicht gerade ein Yachthafen und die Friedensbrücke keine Golden Gate Bridge. Aber es gibt einige passable Ansätze. Dazu noch die Frau Professor, die mir Schubert nahe-, und eine Glaserei, die Wunder vollbringt. Ich bin zufrieden.

© Beate Schilcher 2022-11-15

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