von Mary Modl
Es hĂ€tte Kollegen gegeben, die vielleicht mehr Kunstinteresse oder -verstĂ€ndnis aufgebracht hatten. Dass ich auserkoren worden war, mit einem der international angesehensten AktionskĂŒnstler ein Interview zu fĂŒhren, wunderte mich. Ich hĂ€tte die notwendige Unbeschwertheit, meinte unser Chefredakteur.
Schloss Prinzendorf, Lebensmittelpunkt des umstrittenen KĂŒnstlers, ist etwa sieben Kilometer Luftlinie von meinem Weinviertler Heimatort entfernt. Mitte der Siebzigerjahre war es âderâ groĂe Skandal schlechthin, als der als âBluatschĂŒtterâ bekannte Nitsch sein erstes 24-Stunden-Spiel im Rahmen seines Orgien-Mysterien-Theaters im Schloss realisierte. Die WirtshĂ€user waren voll mit Gschichtln, was die âLangzodadnâ da in Prinzendorf treiben wĂŒrden. Nackert wĂŒrden die dort herumlaufen, Tiere abschlachten, deren Blut trinken, sich gegenseitig damit beschĂŒtten und sich darin wĂ€lzen. Von Blasphemie war die Rede, wir Weinviertler mĂŒssten uns schĂ€men.
Auf der Fahrt nach Prinzendorf outete sich Fotograf Martin als Nitsch-Bewunderer; Ich war beruhigt; wenigstens einer mit Ahnung. Nitschs zweite Frau Rita empfing uns persönlich beim Schlosstor. Der Hermann warte schon im BĂŒro auf uns. Dort trafen wir auf optisch genau jenen Nitsch, den man aus den Medien kannte: schwarzer bodenlanger Mantel, Schlapperhut, langer grauer Bart. Wurzelseppig wirkte er auf mich und nach den ersten SĂ€tzen wie ein gemĂŒtlicher Opa. Er hatte mich sofort entlarvt, dass ich keine Ahnung von seiner Kunst hatte. Er kommentierte dies mit âMocht nix Mentscherl, du mochst des scho guatâ. Das Interview dauerte beinahe zwei Stunden und gab genug fĂŒr eine dreiseitige Reportage her.
Je lĂ€nger ich ihm gegenĂŒbersaĂ, desto mehr faszinierte mich der Mensch Nitsch. Es war diese unerwartete NormalitĂ€t, die er ausstrahlte. Dann zeigte er uns sein Atelier im DachgeschoĂ. Der Weg dorthin fĂŒhrte ĂŒber eine steinerne Treppe, die sich hinaufschlĂ€ngelte. Auf den Stufen standen GlĂ€ser mit eingelegten Köstlichkeiten von Frau Rita. Ich durfte mir ein Glas Salzgurken aussuchen und Martin bekam eingelegte Paprika. Angelangt im Atelier, wo die ganz groĂen Werke ausgestellt sind, die ĂŒberdimensionalen SchĂŒttbilder, hatte ich nur ein Verlangen: Ich wollte raus, denn es roch nach abgestandenem Blut.
Wieder unten angelangt, zeigte Herr Nitsch uns noch seine Vespa, mit der er durch die Weinberge der Umgebung kurvte; da traf man ihn auch immer wieder in Weinkellern oder bei urigen Heurigen. Genau diese Weinviertler GemĂŒtlichkeit liebte er ach so sehr. Er schĂ€tzte seine Prinzendorfer und sie ihn; jetzt auch.
Tief beeindruckt verlieĂen wir den KĂŒnstler und sein Schloss. Auf meine Reportage wurde ich noch lange danach angesprochen, denn anscheinend hatte mich unser Chefredakteur richtig eingeschĂ€tzt. Es war mir gelungen, ein ganz anderes Bild von Hermann Nitsch zu malen. Eines von einem von uns Weinviertlern.
r.i.p. Hermann Nitsch/19.04.2022
© Mary Modl 2022-04-20