Wenn die weichen Gesichtszüge und das Weiß in deinen Augen nicht mehr ausreichen. Wenn der Schmerz da ist, bei jeder Bewegungslosigkeit bei dir bleibt, dann frisst er dich auf. Er begleitet dich, er lähmt dich, er macht dich 60 Jahre älter, als du bist. Wenn du dich so alt fühlst, ohne etwas erlebt zu haben, oder vielleicht gerade weil du nichts erlebst, dann weißt du, dass etwas falsch läuft. Du bist jung, du solltest wild sein, frei, voller Energie, beweglich, Fehler machen und die Zeit voll auskosten. Du solltest dich ausprobieren, dich schämen, stürmisch küssen, weinen und jeden Tag etwas lernen. Es ist die beste Zeit deines Lebens. Und du spürst es in dir, das Verlangen, den kleinen Funken, der dir sagt: „Ja, das könntest du, das solltest du.“
Aber der Funke wird erstickt. Er vergeht nicht, denn er ist deine Essenz und erst wenn du vergehst, dann verschwindet auch er. Er sitzt in dir, er nagt an dir und klopft an, immer wieder, in der leisen Hoffnung, er könne endlich einmal entflammt werden. Doch du weißt nicht wie. Du hörst ihn, du verstehst ihn, du willst es auch. Du willst nicht mehr die Jahre verstreichen lassen, unspektakulär von Tag zu Tag vegetieren. Du willst das Leben spüren. Glücklich sein. Zufrieden und stolz.
Und doch kommst du nicht heraus aus dem Trott. Wie befreist du dich? Wie fügst du Glitzer in dein Leben ein? Wie entzündest du ein Feuer? Manchmal bist du kurz davor, es herauszufinden. Du riechst schon den Rauch, du spürst die Wärme, du merkst, wie dein Herz aufgeht. Du möchtest die Arme ausbreiten und jubeln: „Ich habe es geschafft! So geht es!“
Und nach einem kurzen schwerelosen Moment, der die Lust nach mehr in dir weckt, ist doch wieder alles wie vorher. Wieder gefangen in deinen Mustern, die Wärme vergeht. Heute wird es kein Feuer geben. Zurück im zerreißenden Loch zwischen Erwartung und Realität. Wieder bleibt dir nur das Träumen von einem leuchtenden Innern, von Dingen, Aktivitäten, Erfahrungen, die es zum Leuchten bringen könnten.
„Bald“, sagst du dir und verschiebst es hoffnungsvoll und gleichermaßen schwer enttäuscht in einen Moment in der Zukunft. Du baust ein enormes Luftschloss, über und über beladen mit Wünschen und Hoffnungen, an das du dich verzweifelt klammerst und doch nichts tust als bloß zu warten, dass es endlich näher kommen möge.
Und der Funke klopft schwach, leise und weit entfernt wieder an, denn er gehört zu dir und wird nie damit aufhören, sich bemerkbar zu machen. Du hörst ihn, du weißt, dass du kannst, was er will. Dein Körper und dein Geist sind für das Feuer geschaffen. Aber du hast vergessen, wie du den Funken entzündest, wie du ihn erhältst, nährst und lodernd wachsen lässt. Dabei wusstest du es als Kind, als dein Geist noch unbeschwert war und du viel Raum in dir hattest. Als du mit einer selbstverständlichen beneidenswerten Leichtigkeit branntest und nicht darüber nachdenken musstest.
Wie entfesselst du dich? Wie brichst du aus? Wie lernst du, auch als Erwachsene strahlend zu leben?
© Lara Marie Remler 2022-01-15