Meine Mutter war seit den 50er Jahren Mitglied der âBuchgemeinschaft Donaulandâ, obwohl sie selbst, genau wie auch mein Vater, nur wenig gelesen hat. Die vierteljĂ€hrlichen VorschlagsbĂ€nde, die man automatisch zugesendet bekam, sofern man aus dem Katalog keine andere Auswahl getroffen hatte, fĂŒllten daher, als ich ein Kind war, unseren BĂŒcherschrank schon gut aus. So kam ich dazu, BĂŒcher zu lesen, fĂŒr die ich eigentlich noch viel zu jung war. âEffi Briestâ und âMadame Bovaryâ sind vermutlich nicht das Richtige fĂŒr eine DreizehnjĂ€hrige. Und sehnlich erwartete ich immer Ankunft der Kataloge, denn da lernte ich eine ganz neue Welt kennen – die Welt der Literatur.
Ich traf auf berĂŒhmte Namen, die den Kanon der deutschen Literaturgeschichte bildeten, aber auch auf modernere Autoren, und bald gab es bei uns statt der VorschlagsbĂ€nde einen respektablen Querschnitt durch die deutschsprachige und teilweise auch die fremdsprachige Literatur in Ăbersetzungen. Da wir immer weit mehr bestellten, als unbedingt erforderlich war, trat ich auch als selbstĂ€ndiges Mitglied der Buchgemeinschaft bei, denn so konnten wir doppelt von diversen Vorteilen profitieren. Diese Mitgliedschaft endete erst, als in den 90er Jahren die letzte Filiale in Wien schloss. Die Zeit der Buchgemeinschaften, die sehr viel zur Bildung der Bevölkerung beigetragen hatten, war endgĂŒltig vorbei.
Ich entdeckte immer wieder neue Autoren, auf die ich sonst sicher nicht so leicht verfallen wĂ€re, denn auch ein noch so guter Deutschunterricht kann nicht alles bieten. Bald hatte ich sĂ€mtliche Klassiker in den damals so beliebten DĂŒnndruckausgaben, und ich habe das alles wirklich zu groĂen Teilen gelesen. Goethe, Schiller, Kleist, Lessing, Shakespeare – einfach alles. Ich las als SechzehnjĂ€hrige Shakespeares sĂ€mtliche Königsdramen, als SiebzehnjĂ€hrige Stifters âNachsommerâ und Schillers âWallensteintrilogieâ. Und ich entdeckte meine Lieblingsautoren wie Schnitzler, Zweig, Kafka, Doderer, Werfel, Joseph Roth, Böll, Fontane und viele andere, und natĂŒrlich meinen absoluten Favoriten Thomas Mann.
Ich las praktisch Tag und Nacht. Wenn ich von der Schule heimkam, konnte ich es kaum erwarten, nach dem Mittagessen weiterlesen zu können. Hausaufgaben beschĂ€ftigten mich nur wenig, denn das meiste machte ich in den Schulpausen. Als ich zur mĂŒndlichen Deutsch-Matura eine Leseliste bekam, kannte ich diese Titel lĂ€ngst alle, und sogar wĂ€hrend des Germanistik-Studiums stellte ich fest, dass ich schon einen soliden Grundstock und guten Ăberblick hatte.
Ich weiĂ nicht, ob ich ohne die âBuchgemeinschaft Donaulandâ so frĂŒh zur Literatur gekommen wĂ€re und eine doch recht groĂe Bandbreite kennengelernt hĂ€tte, denn in meiner Heimatstadt gab es damals nur eine Papierhandlung mit einer kleinen Buchabteilung, und als ich spĂ€ter hĂ€ufiger nach Wien fuhr und dort groĂe Buchhandlungen kennenlernte, wĂ€re wohl schon viel wertvolle Lesezeit verloren gewesen.
© 2022-11-28