Das fünfte Rad am Wagen

Jenny Hei

von Jenny Hei

Story

Ich war im Zwiespalt. Natürlich freute ich mich für Schwester Angy, deren Hochzeit wie ein Happy End eines Liebesfilms war, bei dem man selbst noch nach dem zehnten Mal ansehen, noch weinen musste. Dennoch war es nicht einfach die ältere Schwester zu sein und diesen wahrgewordenen Traum zu sehen. Während ich mit meiner kleinen Schwester tanzte und die anderen Gäste und besonders unsere Eltern ein paar Tränen der Rührung weinten, drückte ich Angy einen Kuss auf die Stirn. Ihr Freude erhellte alles und jeden, das war schon immer so gewesen. Wir wiegten uns im Takt von Stapeltons “Broken Halos” und ich ließ meinen Blick durch die Menge schweifen, die voller positiver Energie zu vibrieren schien. Draußen auf einer schönen Parkbank saß die Schwester meines Schwagers mit ihrer Begleitung. Die beiden hatten sich die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen und ein kleiner schmerzhafter Stich machte sich in meinem Bauch bemerkbar. Seit dem plötzlichen Tod meines Freundes drei Jahre zuvor fühlte ich mich allein. Ich sehnte mich nach Geborgenheit, Sicherheit und einer Person, die zu Hause auf mich wartete. Mein Herz verzehrte sich nach dem Gefühl geliebt und gebraucht zu werden, doch es hatte seitdem nicht mehr gefunkt.

“Was hast du?”, fragte mich Angy sanft. Sie drückte mich ein wenig von sich, ohne aus dem Takt der Tanzschritte zu kommen.

“Hm?”

“Du seufzt. Hast du an Tommy gedacht?” In ihrer Stimme lag Verständnis und ein Hauch Traurigkeit. Angy wusste, wie sehr er mir fehlte und dass mir romantische Augenblicke wie diese mein Herz ins Stolpern brachten.

Ich schüttelte den Kopf und setzte ein Lächeln auf. Dies hier war nicht mein Tag. Es war Angys Tag und sie hatte alles Glück der Welt verdient und bestimmt keine Schwester, die sich wie das fünfte Rad am Wagen fühlte. Sie setzte zu sprechen an, doch da nahm schon ihr Verlobter, nein, ihr Mann ihre Hand und bat sie um den nächsten Tanz. Angy warf mir einen entschuldigenden Blick zu, doch ich winkte ab. Meine Beine trugen mich zur Bar, die unter den Lichterketten in einem verspielten Licht strahlte. Der Barkeeper wartete mit hinter dem Rücken verschränkten Händen und lächelte sie freundlich an, als sie die Karte studierte.

Auf der Karte stand ein Spruch: “Lebe und denke nicht an morgen” Angy liebte Bollywoodfilme, weshalb dieses Zitat nicht fehlen durfte und ich schmunzelte. “Machen Sie mir irgendetwas, egal was.”

“Kommt sofort!” Mit geschickten Handgriffen zauberte der Mann einen Cocktail. Als er ihn mir über den Tisch schob, bemerkte ich erst, wie attraktiv er war. “Darf ich Sie auf diesen Drink einladen?”

Überrascht kräuselten sich meine Lippen. Mein Puls beschleunigte sich und ich nickte. “Sehr gerne.” Ich zog am Strohhalm. Der Geschmack von Orangen, Erdbeeren, Vodka und einer weiteren Zutat explodierte auf meiner Zunge und ließ mich seufzen. “Wow! Der ist fantastisch, wollen Sie mich heiraten?“ Bevor ich mir meiner Worte klar wurde, lachte er.

“Beginnen wir mit einem Date.”

© Jenny Hei 2021-04-07

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