von chrissys_welt
Wenn man manchmal mit einem Anflug von Melancholie an seine erste Liebe zurückdenkt, kommt einem automatisch auch das erste Mal in den Sinn. Was ja nicht zwangsläufig dasselbe sein muss. Ich zum Beispiel war zum ersten Mal so richtig verknallt in Nanett. Sie weiß bis heute nichts davon, obwohl wir viele Jahre in der gleichen Klasse waren. Und dann gab es Corinna, das typische Mädchen von nebenan. Wir kannten uns, seit ich sieben war. Wir wohnten im gleichen Block, sahen uns täglich vor der Haustür oder mit den Eltern irgendwohin gehen. Wir gingen in verschiedene Schulen, hatten unterschiedliche Freundeskreise und Interessen und würdigten uns kaum eines Blickes, schon gar nicht, wenn wir nicht allein waren. Spielte ich mit meinen Freunden Fußball zwischen alten Garagen oder strolchten wir durchs Unterholz und bauten Buden aus Zweigen und alten Decken, durfte sie nicht mitspielen. Sie war ein Mädchen. Das ging gar nicht. Das war peinlich. – Natürlich wurden wir älter, unser Aussehen änderte sich, und auch die Blicke, mit denen wir uns ansahen, waren andere. Da war so eine Neugier, die wir anfangs noch nicht zuordnen konnten. Bald hockten wir zu zweit auf Bänken oder Mauern, unterhielten uns über die frühpubertäre Welt und stellten allmählich fest, dass wir doch nicht so doof waren, wie der jeweils andere bisher vermutet hatte. Trotzdem dauerte es bis zu den letzten Sommerferien, dass mehr daraus wurde als nachbarschaftliche Freundschaft. Händchenhalten, erste zarte Küsse, Hormone in Aufruhr. Dann kam dieser Abend am See. Ein kleiner See am Stadtrand, begrenzt von Gesträuch und einem Wäldchen. Dort brannten immer mehrere, nicht erlaubte kleine Lagerfeuer, saßen die Cliquen zusammen, rauchten, tranken Bier. Ein bunt gemischtes junges Völkchen. Corinna und ich waren schon ein paarmal dort gewesen, man kannte uns. – Später im Laufe des Abends spazierten wir am Wasser entlang und gelangten irgendwie auch ins Wäldchen. Wir waren uns ohne Worte einig. Die Jacken legten wir nebeneinander auf den erdigen Boden, damit es weicher war. Wie selbstverständlich zogen wir uns aus, lagen bald nebeneinander, knutschend, kuschelnd und entdeckend Haut an Haut. Immer intensiver und bestimmter wurden unsere Berührungen und Bewegungen. Bis wir beide fast zeitgleich hochschreckten, urtümliche und schmerzvolle Laute von uns gaben. Unsere Hände versuchten die Ameisen abzustreifen, neben deren Nest wir es uns gemütlich gemacht hatten. Wir konnten nicht so schnell wischen, wie sie über unsere Körper krabbelten. Für die Freunde am See muss es sehr merkwürdig ausgesehen haben, als plötzlich zwei nackte Jugendliche schreiend aus dem Wald gerannt kamen und sich gleich darauf komplett in den See stürzten. Wir schwammen und tauchten immer wieder ab, bis wir sicher waren, keine einzige Ameise mehr an uns zu haben. Nach der ersten Verwunderung machte sich Gelächter am Ufer breit, pure Schadenfreude, als alle begriffen hatten, was los war. Doch man half uns auch. Irgendjemand holte irgendwie unsere Sachen, klopfte sie ab, schüttelte sie aus. Wir bekamen Decken umgehangen und wärmten uns am Feuer. Wir wurden noch viele Wochen lang wissend angegrinst. Das erste Mal holten wir dann zu Hause nach.
© chrissys_welt 2023-05-05