Das Huhn

Das Huhn sitzt im Internetcafe und meldet sich via Handy-Signatur bei der Selbstständigenversicherung an. Der Verlängerte, den es vor geraumer Zeit bestellt hatte, war offenbar im Kaffeefilter hängen geblieben. Dem Huhn war es gleich, es würde heute Nacht so und anders nicht schlafen können. Als es beim Ausfüllen der Stammdaten ‘ledig’ auswählen muss, bemerkt es wie seine Augen wieder feucht werden. Der Mann, der den Verlängerten vergessen hat, schielt schief vom Tresen her herüber. Vor dem zu weinen wäre dem Huhn reichlich egal, aber es wollte selber nicht mehr. “Komm gleich wieder”, sagt es zu ihm und ist sich nicht sicher, ob es lügt.

Draußen regnet es noch immer. Während es sich am Gehsteig eine Filterzigarette ansteckt, schaut es sich nochmal das Video an, das mit dem Meer und dem vielen Lachen. 2 Monate war es jetzt schon her, dass seine Freundin Schluss gemacht hatte. 2 Monate Kontaktabbruch, alleine Bier trinken, tagelang im Bettchien liegen, Federausfall. Nicht mal Eier legen ging. Gestern hatte es einen Gig gehabt und kurz gehofft, vielleicht würde sie ja kommen. Nur, damit es sie zumindest kurz sehen könnte. Aber wenn jemand Urlaubsvideos in eine Whatsappgruppe schickt, kommt man nicht zu Gigs von Exfreunden. “Oh, schönen Urlaub.?”, hatte das Huhn geschrieben. Keine Antwort, natürlich nicht. In Italien ist sie, mit drei von den anderen Hühnern, Spaß haben. Und alle im Stall haben Bescheid gewusst, nur das Huhn selber nicht. Das ist nicht so fein, nein, gar nicht.

Ein Mann mit fettigen Haaren drängt sich grußlos ins Internetcafe hinein. Der würde jetzt die ganzen wichtigen Daten vom unversperrten Bildschirm lesen können, Steuernummer, Wohnadresse und das ganze. Dem Huhn war es gleich. Das unbeschwerte Lachen aus dem Video klingt in seinen Ohren.

Dass man jemanden so fest vermissen kann, das wusste das Huhn bis zu diesem Sommer nicht. Es sitzt auf einer Alm in Südtirol und hofft auf Sternschnuppen, wegen der Wünsche. Aus der Hütte hört es Leute Schnaps trinken und Witze erzählen. Heute hat seine Exfreundin einmal auf eine Nachricht reagiert gehabt. Kurz und unbedeutend, aber für das Huhn war es für einen Moment die ganze Welt.

In zwei Wochen geht es für eineinhalb Monate aufs Kreuzfahrtschiff. Schlagzeug spielen für einen Haufen Opas mit zuviel Geld. Das Huhn weiß, dass Weggehen heilsam wäre, sein Psychologe sagt das auch. Aber wollen tut es was anderes. Natürlich tut es das.

5 Sternschnuppen waren es, eine ganz große sogar. Der Wunsch bleibt gleich. Dann hat es wieder zu regnen angefangen. Mit Schnaps im Kopf legt sich das Huhn in einen viel zu kalten Schlafsack und träumt den immerselben Traum. Morgen geht es wieder ins Tal, dann direkt weiter, Konzerte und so. Es passieren viele Sachen im Moment, spannende Sachen, aber das mit dem sich Freuen geht sich irgendwie einfach nicht aus.

Jeder der ‘Ich wollt ich wär ein Huhn’ singt und es meint, hat keine Ahnung. Weil fein ist das nicht, nein, gar nicht.