Das kleine Mädchen in mir

Joe_Maxime

von Joe_Maxime

Story

Aber wie soll ich lernen, weiblich zu sein, wenn meine Mutter es mir anders vorgelebt hat und diese Seite an sich nie entdeckt und immer unterdrĂĽckt hat? Wie soll ich meine weibliche Seite kennen und lieben lernen, wenn alles Weibliche verboten oder verspottet wurde? Eine Frau trägt Lippenstift – „aber sie hat es nötig, die Männer nur mit ihrem Ă„uĂźeren zu beeindrucken, wie es eine Hure tut. AuĂźer ihrem Aussehen hat sie wohl nichts zu bieten, wenn sie sich so anbiedern muss. Wie schade fĂĽr sie.“ Das Wort Hure wurde als Synonym fĂĽr alles Weibliche verwendet. Wie oft ich allein von meiner eigenen Familie als Hure beschimpft wurde, bevor ich zwölf Jahre alt war, macht mich heute fassungslos und wĂĽtend. Dass dieses Wort so missbraucht wurde, aus eigenen Komplexen und MinderwertigkeitsgefĂĽhlen heraus, versteht ein kleines Mädchen nicht. Es versteht nur, wie es ĂĽberleben muss. Zusätzlich wie ein Junge erzogen zu werden, sich mit Jungs besser zu verstehen, Mädchen doof zu finden, sportlich talentiert zu sein und vom gleichalten Cousin sexualisiert/missbraucht zu werden, hat nicht geholfen, die eigene Weiblichkeit anzunehmen. Ab dem zarten Alter von zwölf Jahren keine Röcke oder Kleider mehr tragen zu dĂĽrfen, weil ich damit Vergewaltigungen provoziere, weil Männer sich bei meinen zu schön geformten Beinen nicht beherrschen können. Bis heute kämpfe ich damit, Kleider (ohne Hose darunter) zu tragen und mich dabei wohlzufĂĽhlen bzw. nicht daran zu denken, dass ich damit ein erhöhtes Risiko eingehe und die Konsequenzen selbst zu tragen habe. Mein erster Gedanke, wenn ich mit einem Kleid aus dem Haus gehe, ist: „Ich fordere es heraus, ich bin eine Schlampe“. Wenn ich mich schminkte, wurde ich als Hure beschimpft. Meine Tante meinte, ich sei zu feminin, ich solle weniger mit den HĂĽften wackeln, ich wĂĽrde doch nur herausfordern, spätestens mit 16 schwanger zu sein, wenn ich schon mit zehn Jahren die Blicke von 14-Jährigen auf mich ziehe. Welche Ironie, dass gerade ihr Sohn mir seit dem zarten Alter von drei Jahren nachlief, mich heiraten wollte und mich bei jeder Gelegenheit kĂĽsste. DarĂĽber, dass er mich heiraten wollte und wusste, wie er unsere Kinder nennen wollte, lachten alle Erwachsenen nur, sie nahmen ihn nicht ernst. Sie wollten die Unschuld der Kindheit sehen, die leider längst verloren gegangen war. Dass dies zu mehrfach erzwungenem und/oder manipuliertem Geschlechtsverkehr und anderen sexuellen Handlungen zwischen Cousin und Cousine im Alter von sieben bis fĂĽnfzehn Jahren fĂĽhrte, wollte niemand ahnen oder sehen. Unser Kussfoto hing jahrelang auf DINA3 im Zimmer meiner Schwester. Meine Schwester bewies wieder einmal ihren Charakter. NatĂĽrlich war sie nur ein Kind, aber ich werde ihre Taten nie verstehen können. Ich erzählte ihr von den ersten sexuellen Aktivitäten im Alter von sieben Jahren, und sie sagte, sie hätte uns gesehen, hätte es eklig gefunden und wäre schweigend aus dem Hotelzimmer gegangen, und dass ich ihr nun etwas schuldig sei, da sie mein Geheimnis vor meinen Eltern bewahrt hätte, die das nicht gut gefunden hätten. Sie erpresste mich mit dem sexuellen Missbrauch, den ich zu jung und zu lange erlebt habe, anstatt mich zu beschĂĽtzen. Ich wusste also, dass ich auf mich allein gestellt war, dass das, was passiert war, als ekelhaft einzustufen war, weil wir verwandt sind, und dass ich eine Mitschuld trage, weil ich es zugelassen habe, und dass es zum Teil aus purer Neugierde freiwillig war.

© Joe_Maxime 2024-08-22

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