von Maria Büchler
Das Hauptschulfach „Handarbeit“ (heute Textiles Werken) habe ich nur bedingt gemocht. Wohlgemerkt, gemocht, nicht geliebt, und nur sehr bedingt. Wenn ich nach meiner Mutter geraten wäre, hätte ich mich wohl auf jede Stunde gefreut. Sie stellte unsere Kleider alle selbst her. Noch heute bewundere ich auf Fotos die Samtkrägen der Mäntelchen und die kunstvollen Muster unserer Strickjacken. Aus jedem Stoff- oder Wollrest zauberte sie hübsche Sachen.
Dieses Talent habe ich nicht geerbt. Doch, früher strickte ich gern, auch während des Lesens. Nicht nur glatt rechts, auch die Bündchen programmierte mein Gehirn.
Aber die Kunststrickerei! Ihr galt meine größte Abneigung. Zwischen vier dünnen Nadeln hing ein verschwitzter grauer Lappen, vor mir lag die Strickschrift. Anfangs ging es noch halbwegs. Doch mit zunehmendem Umfang wurde das geplante Zierdeckchen zum Putzfetzen.
Das Fiasko stellte sich am Ende jeder Runde ein. Entweder reichten die Maschen für das Muster nicht aus oder es blieben zu viele übrig. Ich hielt mich für schlau, wenn ich die überzähligen einfach zusammenstrickte oder bei fehlender Anzahl entsprechend viele aufnahm. Natürlich flog diese Maßnahme bald auf, und ich musste von vorne beginnen.
Daheim nahm sich Mama des armen Lappens an. Doch in der nächsten Stunde stand ich wieder vor demselben Dilemma. Trotz vereinter Anstrengungen wurde kein Prunkstück daraus.
Unsere Lehrerin hieß Rosa Putz. Ihre Lieblinge hielt sie keineswegs geheim. Daher war bald allen klar, wer dazugehörte und wer nicht. Ich zählte zur zweiten Gruppe. Einmal hielt ich ihr ratsuchend eine Näharbeit entgegen. Als sie danach griff, muss sie sich gestochen haben, denn sie schrie gellend auf. Eingehend untersuchte sie den malträtierten Finger, um mir anklagend die Wunde entgegenhalten zu können. Als sie keine rote Stelle fand, schimpfte sie: „Vor Schreck kommt gar kein Blut.“
Wir fabrizierten alles Mögliche. Als eine wollene Unterhose auf dem Programm stand, verkündete sie: „Jetzt könnt ihr euch schon vollständig bekleiden.“
Einmal gab sie uns bekannt, was wir das nächste Mal mitbringen sollten. Ich muss sie gründlich missverstanden haben, denn das alte Fräulein war mit der Menge meines rot karierten Stoffes nicht zufrieden.
„Dummes Ding, das reicht nie und nimmer für eine Schürze!“, musste ich hören. Dann sah sie mich geheimnisvoll lächelnd an. „Aber wir können etwas Anderes daraus machen, auch etwas Schönes“, raunte sie verschwörerisch. „Eine Cocktailschürze!“
Meine Mitschülerinnen mussten brave Kittel mit Latz und Knopflöchern nähen. Mich jedoch motivierte mein schickes Nichts von Cocktail-Schürzchen weit mehr. Es war um die Taille zu binden, die umlaufenden Taschen leuchteten weiß abgesetzt. Zum ersten Mal beneideten die anderen Mädchen mich.
Daheim war das Prunkstück unbrauchbar, denn ohne Latz bot es bei der Hausarbeit zu wenig Schutz. Doch wenn Besuch kam, durfte ich es beim Servieren des Kuchens tragen.
© Maria Büchler 2022-10-10