Delogierung

Story

Ein zögerlicher Zahler war er fast von Anfang an gewesen, der Herr “Dipl.-Ing.”, wie er sich nannte. Sonst ein seriös wirkender Mensch mit Glatze und gepflegter Rhetorik. Er sprach von geschäftlichen Problemen, Alimenten, die im Hinblick auf das Kindeswohl Vorrang hatten, Fehlern der Bank. Er zahlte dann doch wieder einmal. Man ist ja verständnisvoll, also alles wieder gut.

Er zahlte dann immer später, monatlich musste man ihn schon mahnen, das Geld kam in Teilbeträgen, um uns bei Laune zu halten, der Rückstand wurde immer größer. Er sprach von einer Freundin in der Slowakei, die er unterstützen musste, von Problemen in der neuen Firma. Es war aber nur eine einfache Zweizimmerwohnung, der finanzielle Schaden daher überschaubar und wir vielleicht deshalb ein wenig zu nachlässig.

Als schließlich drei Monate lang gar kein Geld kam, die Telefonnummer nicht mehr existierte und eingeschriebene Briefe zurückkamen, gingen wir zu Gericht, um die Delogierung einzuleiten. Der erste Delogierungstermin kam aber nicht zustande, weil der wortgewandte Herr “Dipl.-Ing.” der Richterin erzählte, er habe nicht gewusst, dass man auf ein Schreiben des Gerichts überhaupt reagieren musste – und das glaubte sie ihm.

Ein weiterer Termin wurde also anberaumt, sollte er bis dahin nicht alle Rückstände begleichen, was er natürlich nicht tat. Da waren dann schon wieder mehrere Monate vergangen. Erkundigungen bei den Nachbarn hatten inzwischen ergeben, dass er öfters in Gesellschaft von zwei bis drei Damen mittleren Alters und beträchtlichen Umfangs gesehen wurde, von denen das Gerücht ging, sie würden in unserer Wohnung unter der Patronanz unseres säumigen Mieters andere Herren zu gewissen delikaten Zwecken empfangen. Das brachte unsere Überlegungen, einmal überraschend abends an der Wohnungstür zu läuten, zum Erliegen. Einer Auseinandersetzung in diesem Milieu fühlten wir uns nicht gewachsen.

Zum Termin der gerichtlichen Delogierung mussten wir einen Schlosser zur Öffnung der Wohnung mitbringen, weiters einen neutralen Zeugen, als der der Sohn einer Freundin fungierte, der Ethnologie studierte und so etwas gerne einmal miterleben wollte. Wir – also mein Mann, unser Sohn und ich – und der Gerichtsvollzieher vervollständigten die Karawane, die sich zur Wohnung in Bewegung setzte.

Der Gerichtsvollzieher und der Schlosser gingen mutig voran, wir anderen mit Sicherheitsabstand hinterdrein, denn wir fürchteten eine unangenehme Szene. Doch die Wohnungstür stand offen, die Wohnung war leer, in der Küche lagen alle Schlüssel. Zurückgeblieben waren ein Hometrainer, ein kaputter Staubsauger und rote Pantöffelchen mit Goldfedern und Glitzersteinchen, die die Aussagen der Nachbarn über die berufliche Tätigkeit der Damen in gewisser Weise bestätigten.

Wir waren heilfroh, der direkten Konfrontation entgangen zu sein. 30 Jahre lang könnte man die finanziellen Forderungen geltend machen. Erfolgsaussichten genau null.

© 2022-06-22