Denn wie du mir, so ich dir

Carla K

von Carla K

Story

Ich scrolle durch ewige Storys. Lege das Handy für einen Moment weg. Sekundenbruchteile. Nehme es wieder in die Hand. Neue Storys neue Fotos. Aber nicht nach ein paar Sekunden. Ich warte erneut. Da, eine neue Story von einer unwichtigen Person der ich unnötigerweise folge. Ich klicke mich durch ihre Story. Party. Menschen. Lautstärke. Alkohol. Mehr Menschen. Musik. Tanzen. Noch mehr Menschen. Viel zu viel. Von allem.

Plötzlich halte ich inne. Mein Finger tippt wie von selbst ein Foto zurück. Da hinten in der Ecke, da unter dem riesigen Gemälde, auf der zimtbraunen Couch mit dem abscheulichen Fellüberwurf sitzt doch du … du … du die mir einmal wichtig war. Die dem Begriff Wichtigkeit eine Definition gab.

Du siehst verloren aus, da zwischen all den Menschen, die du doch früher so verabscheut hast. Wann bist du einer von ihnen geworden? Und wo war ich da? Und viel wichtiger seit wann bin ich keiner mehr von dir? Seit wann genau sind wir zwei Puzzleteile mit nicht zusammenpassenden Ecken und Kanten? Du bist verloren und ich ertrinke in der Leere deines Blickes, welche ja sogar durch den gefakten Instagram Filter zu mir überschwappt. Ich kenne dich. Besser als du dich.

Die nächste Story. Das nächste Foto von dir und ihr. Du mit dem Mädchen, welches wir beide früher auf den Tod nicht ausstehen konnten. Damals als wir noch sowas wie … ach ich weiß auch nicht, was wir waren. Viel mehr als jetzt aber doch nicht genug. Würde es dich sehr stören, wenn ich dein perfektes Leben für eine Millisekunde unterbreche und dir kurz vor Augen halte, wer wir waren?

Wir standen uns mal nahe und irgendwie kann man so eine tiefe, jahrelange – fast zu lange, viel zu kurze – Verbindung doch nicht einfach kappen? Aber hier an diesem Punkt, an dem wir grade stehen, sehen wir ja doch wie leicht das war. Wir standen uns nah. Uns war egal, was andere dachten oder machten, ob sie lachten über uns und unsere Träume und Gedanken. Wir waren nie ein Teil der coolen Clique, waren nie auf großen Partys, nicht zugehörig zu irgendeiner Art von Gruppe. Denn wir waren nur wir zwei. Und das war genug.

Aus „Ich werde immer für dich da sein“, wurde auf einmal ein merkwürdiger, einmal im Monat vorkommender WhatsApp Chat. Aus „Ich vermisse dich“, wurde ein „Diese Woche ist schlecht. Aber vielleicht finden wir ja nächsten Monat Zeit.“ Aus Baumhäusern wurden virtuelle Versteckspiele, aus Geheimnissen wurden Höhlen, in die keiner hinein krabbeln wollte, aus Angst nie mehr zurückzufinden, aus Playmobil wurden unsere Gefühle und aus beste Freunde für immer wurde … das hier. Eine abgewandelte Form von einem Wir, welches eigentlich seit Jahren nicht mehr existiert.

Ich hab zeitnah mitbekommen, im Sekundentakt verfolgen können wie ich allmählich verblasst bin. Starke Linien verschwammen zu einem verflossenen Meer aus schwarz. So wie früher, wenn wir mit Wasserfarben den ganzen Teppich bekleckert haben. Ich vermiss’ dich mehr als du mich und frage mich allmählich, ob das früher vielleicht mal anders war.

© Carla K 2023-08-31

Genres
Anthologien
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll, Traurig
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