Der Beginn

Alissa Naubert

von Alissa Naubert

Story

Es war ein strahlender Frühlingsmorgen und Igel Pawlaw reckte und streckte sich. Er kroch langsam aus seinem geliebten Karton und zog seine kleinen Hinterbeine etwas hinter sich her, um ihnen eine ausgiebige Dehnung zu geben. „Was ein herrlicher Morgen!“, dachte er bei sich und schaute sich im Wohnzimmer um. Sein menschlicher bester Freund Ben hatte einen wirklich tollen Geschmack! Es war alles sehr vintage eingerichtet – ja so etwas lernte man auch als Igel, denn alles, was die Menschen sagten, verstand Pawlaw auch. Er fand es immer sehr amüsant, dass die Zweibeiner doch tatsächlich dachten, Tiere können nichts verstehen. So gab es manchmal sehr witzige Situationen und beim Gedanken daran musste er ein wenig schmunzeln.

Die große Fensterfront zum Garten war von außen mit Efeu umrandet, der Rasen von Glücksklee bedeckt und links und rechts fing ein grau gestrichener hoher Holzzaun hinter der gepflasterten Terrasse an. Für die Menschen in Sitzhöhe und für Pawlaw als eine Art Schutzwall vor Tieren, die ihm aufgrund der Nahrungskette nicht ganz so gut gesonnen waren. Aber das störte ihn nicht. Das war der normale Lauf der Dinge und eben die Nahrungskette. Er lebte einfach sehr aufmerksam und was sollte er sich Angst und Sorgen machen, wenn es doch im gegenwärtigen Moment so schön war. Das können Tiere ohnehin viel besser! Wie oft sah er seinen Freund herumsitzen und grübeln, aber was brachte es, sich in der Vergangenheit oder Zukunft aufzuhalten, wenn alles was wir wirklich beeinflussen können, der jetzige Moment in der Gegenwart ist? Na ja, daher war er froh ein Igel zu sein. Die Terrassentür war ein ganz kleines Stückchen auf und so quetschte er sich hindurch. Wie gut, dass sein kleiner Körper so beweglich und elastisch war! Er schnupperte mit seinem Näschen die erfrischende Landluft und ein kleiner Zitronenfalter flog dicht an ihm vorbei. „Hey Pawlaw! Ich wünsch‘ dir einen schönen und bezaubernden Tag!“ Der Schmetterling hatte ein so kleines Gesicht, aber vom Boden aus sah der Igel dennoch das breite Grinsen. „Das wünsch‘ ich dir auch Zitrusfalter!“ Er drehte noch eine Schleife hoch in der Luft und entschwand dann in den Baumwipfeln.

Krrrtschhh.

Das war das Gartentor. „Hey hallo!!“, freute Pawlaw sich. Ben war da! „Guten Morgen, Kleiner! Schön, dass du auch schon wach bist. Ich habe mir und Elise gerade Brötchen vom Bäcker geholt. Mach dir einen schönen Morgen.“ Mit dem Zeigefinger strich Ben von der Nase bis zum runden Bauch, ließ ein paar Brötchenkrümel fallen und Pawlaw grinste zufrieden. „Danke, mein Freund, den wünsch‘ ich dir natürlich auch.“ Er aß die Krümel mit einem Mal auf und raste mit hoher Geschwindigkeit nun in Richtung hinteren Garten – da wo die schmackhaften kleinen Würmchen, sein richtiges Frühstück, lauerten!

© Alissa Naubert 2022-08-27

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