Der blaue Schurz

Gerhard Maier

von Gerhard Maier

Story

Jeder, der schon mal über den Brenner* gefahren ist und gleich einmal die Autostrada verlassen hat, dürfte die blauen Schurze der einheimischen Männer bemerkt haben.

Der blaue Schurz ist ein Symbol Südtirols, er ist die Alltagstracht, mit dem die Bodenständigen ihre Tiroler Identität zur Schau stellen.

Die Bedeutung des blauen Schurzes hat sich in der Mussolini-Zeit entwickelt. Als 1918 das Tirol südlich des Brenners, das bis zum Nordufer des Gardasees reichte, von Österreich abgetrennt wurde, waren viele über den neuen Zustand überrascht. Die deutschsprachigen Tiroler sowieso, aber auch das Königreich Italien. Die politischen Vertreter Italiens vom König bis zu den Gouverneuren sicherten den Südtirolern alle erwünschten Rechte zu. Noch einige Jahre war es im öffentlichen Raum kaum erkennbar, dass Südtirol ab jetzt unter italienischer Verwaltung stand. Auf den Ämtern und Gasthäusern prangte neben den deutschsprachigen Aufschriften weiterhin der Kaiseradler. Die Tiroler Bürgermeister blieben im Amt, der Meraner Bürgermeister konnte sogar strikt antiitalienisch sein. Für das Tragen der Tiroler Tracht gab es noch keinerlei Einschränkungen.

Der Marsch auf Bozen 1922 brachte eine dramatische Änderung. Mussolini setzte oberitalienische Randalierer in Marsch, die in Bozen für Unruhe (mit einem toten Südtiroler) sorgten, bald danach übernahm Mussolini in Italien die Macht. Die Verwendung der deutschen Sprache wurde eingeschränkt, ebenso das Tragen der Tiroler Trachten. Viele junge Tiroler provozierten, indem sie bei Bergwanderungen die weißen Trachtenstutzen anzogen, wodurch Schlägereien mit der Polizei ausgelöst wurden.

Ab jetzt wurde der blaue Arbeitsschurz als Ersatztracht zu jeder Gelegenheit angezogen, auch zu Sakko und Krawatte. Der Leinenschurz war eindeutig eine Arbeitskleidung, da fiel den Faschisten kein sinnvolles Verbot dagegen ein.

Ab 1940 mussten ja die Südtiroler optieren, sie mussten entscheiden, ob sie in Mussolini-Italien bleiben wollen, oder nach Hitler-Deutschland aussiedeln wollen. 97% optierten für Deutschland, die Umsetzung erfolgte aber nur schleppend. In den Südtiroler Städten wurden NS-Deutsche Büros eröffnet, wo das Familienoberhaupt die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen konnte. Ab dem Zeitpunkt der Deutschland-Option war diesen auch das Tragen der weißen Stutzen wieder erlaubt.

Der blaue Schurz hat sich bis heute als Symbol erhalten. Auch bei den Optanten, die im Pongau verblieben sind, sah man lange Zeit den blauen Schurz. Mein Opa hat ihn bis zu seinen letzten Stunden täglich getragen. Auch ich habe einen blauen Schurz irgendwo in einem Kasten, eine Tiroler Tracht habe ich aber nicht.

*Da gibt es den Witz, wo ein Deutscher seinen Freund fragt, wo der heuer auf Urlaub war. Der sagt: „In Italien.“ Der Deutsche fragt weiter „Seid ihr da über den Brenner gefahren?“ Darauf sein Freund: „Ja, wir sind über einen gefahren. Aber, ob der Brenner hieß?“

© Gerhard Maier 2021-01-16