Der fast perfekte Urlaub

Lotte Maria Kaml

von Lotte Maria Kaml

Story

Es war ein Sommerabend, von dem man nur träumen kann. Sternenklar, der Nachtwind brachte eine Brise Urlaubsfeeling mit. Der Rotwein in den Gläsern leuchtete mit dem aufgehenden Mond um die Wette. Man konnte beinahe das Meer riechen, an dessen Ufer wir uns gerade träumten. Sehnsucht machte sich breit in unseren Herzen. Wie lange waren wir nicht mehr im Süden? Viel zu lange! Dafür gab es auch einen triftigen Grund: Uns fehlte es an Flüssigkeit. Nicht in Form von Wein, nein, es war viel schlimmer. Was die Kohle betraf, waren wir alles andere als flüssig. Es klemmte gewaltig. Wir waren kaum volljährig, mussten die Miete für die erste eigene Wohnung aufbringen, das Anfangs-Gehalt war mehr als mickrig. Urlaub war nicht drin.

Sieglinde seufzte laut: „Vielleicht sollten wir es so machen wie meine Cousine? Jeden Sommer trampt sie nach Sizilien. Zu einer Freundin, deren Familie einen Weinberg besitzt. Die sind heilfroh über jeden Helfer bei der Lese. Für ein paar Stunden Arbeit am Vormittag kann sie drei Wochen lang Ferien machen, Verpflegung inklusive!“

All inclusive, ein Traum! Der perfekte Urlaub für uns. Sieglinde übernahm die Organisation. Sie kontaktierte die Cousine, besorgte uns feste Arbeitshandschuhe und ein Klappmesser. Für alle Fälle. Dann war es so weit.

Wir standen an der Auffahrt der Autobahn und hielten Ausschau nach einem Truck mit italienischer Aufschrift. Der Fernfahrer, ein cooler Typ mit langen Haaren, chauffierte uns lässig über die italienische Grenze. Die Zöllner waren bester Laune, ohne lästige Kontrollen landeten wir in unserem Nachbarstaat. Mittlerweile war es Nacht geworden. Ich döste entspannt vor mich hin.

Laute Polizei-Sirenen rissen mich aus meinen Träumen. Unser Fahrer wurde auffallend nervös, als seine Ladung kontrolliert wurde. Wir wurden aufgefordert, auszusteigen und unseren Pass vorzuweisen. Da wurde es dann brenzlig. Meine Freundin durchsuchte verzweifelt ihr Gepäck. Nichts. Oh Gott, sie hatte ihn zuhause vergessen!

Was dann kam, war nicht so lustig. Nach stundenlanger Befragung brachte man uns im Polizeiauto zurück zur Grenze und übergab uns an die zuständigen Beamten. Die waren glücklicherweise noch immer bester Laune. Nach ein paar Telefonaten stellten sie Sieglinde ein Ersatzdokument aus, mit der Auflage, sofort wieder auszureisen. Stocksauer, den Tränen nahe, setzten wir uns in den nächsten Zug nach Österreich. Die Reiselust war uns vergangen.

In meiner Wohnung angekommen, packten wir die Rucksäcke aus. Da fiel etwas auf den Boden. Aus dem Schaft eines Arbeitshandschuhs. Es war Sieglindes Reisepass! Unentdeckt von ihr und den Zollbeamten lachte er uns hämisch an. Da beschlossen wir: Trampen ist nichts für uns! Wir jobbten in diesem Sommer als „Mädchen für alles“ in einem Restaurant und sparten für eine Reise nach Spanien, unserem perfekten Urlaub. Sieglinde war dann aber etwas angespannt. Während des gesamten Fluges umklammerte sie krampfhaft ihren Reisepass.

© Lotte Maria Kaml 2022-07-03