von Alexandra Barl
Während die Worte des Königs wie die letzten, vereinzelten Tropfen eines Regenschauers niederfallen, streckt sich der krumme Rücken des Narren. Die spinnen-langen Beine stoßen sich kraftvoll ab, und der Narr landet zu Füßen des Throns. Er grinst einen Wimpernschlag lang ins Publikum. Dann wendet er sich seinem Herrn langsam zu. Sein Oberkörper biegt sich zurück. Eine Schlange, die zum Biss ausholt. Machtvoll schleudert der Narr sich seinem Herrn entgegen: Er brüllt dem König dessen eigenen Worte ins Gesicht. Speichel glitzert im Sonnenlicht und fällt in das versteinerte Gesicht des Königs. Und was eben aus dem Mund des Herrschers weise und gerecht klang, klingt jetzt plump und einfältig. Lächerlich, lachhaft geradezu. Verachtenswert.
Der Saal liegt in absoluter Stille. Kein Rascheln, kein Räuspern, kein nervöses Kichern löst den Bann. Nur die Worte des Narren, die Worte des Königs, hallen nach. Der Verräter hebt den Blick. Ungläubig starrt er auf den Narren. Schaut in die gebannte Menge.
Der Narr wendet sich ab vom König. Sein Lächeln wird teuflisch, seine Zähne blitzen. Er beachtet weder den König, noch beachtet er den Verräter, seine Spielfigur im kommenden Tanz. Seine Aufmerksamkeit gilt einzig der Meute. Er weiß, dass sie verstehen – er sieht es in ihren gierigen Augen, in der Anspannung ihrer schwitzenden Körper. Er riecht ihre Angst, und ihre Lust an der Zerstörung. Denn Zerstörung ist jetzt unumgänglich. Besser, auf der richtigen Seite zu stehen, besser zu zerstören als zerstört zu werden.
Der Narr lächelt. Sein Blick fällt auf den König, kurz, verächtlich. Beinahe bedauernd. Er zuckt mit den Schultern und stampft auf – als ob er auf eine Kakerlake tritt. Eine Kakerlake, die es sich angemaßt hat, König zu spielen. Eine Kakerlake, die niemals hätte König sein dürfen. Was er gesagt hat, ist dumm und naiv. Er ist geradezu widerlich in seiner Unfähigkeit. Ein Insekt. Ungeziefer.
Der Narr weiß, dass der Moment gekommen ist. Noch einmal wiederholt er die Worte des Königs. Schrill kreischt er sie, ein Witz, der in Hass umschlägt. Die Menge tobt. Fast unmerklich nickt der Narr. Und mit dieser winzigen Bewegung seines langen Kinns in Richtung des Königs lässt der Narr die Meute los.
Der König ist nicht mehr. Sein Blut klebt am Boden, an der Decke, an den Kleidern der Männer und Frauen. An ihren Gesichtern. Sie sind satt, zufrieden. Gerechtigkeit wurde erreicht, der Tyrann ist tot. Der dumme, unfähige Herrscher hat sein gerechtes Urteil erhalten.
Der Verräter spricht, die Menge ist gebannt. Ein weiser Mann, der nur den Lügen des Tyrannen zum Opfer fiel. ER ist der richtige, sie zu führen. Der Narr sitzt im Eck, im Dunkeln, und lauscht. Er hört nicht dem König zu, sondern dem Herzschlag der Menge. Die Meute ist zufrieden.
Doch dieser Zustand ist nicht von Dauer, das weiß der Narr aus Erfahrung. Und wenn die Stimmung umschlägt, dann wird der Narr bereit sein. Dann wird er das Opfer bestimmen, das die Meute braucht. Seine Zeit im Licht wird wiederkommen.
© Alexandra Barl 2024-02-12