Der Opa ist tot

Sabine Doods

von Sabine Doods

Story

Kurz vor 22 Uhr lag ich, eingekuschelt in eine Decke, auf meinem Sofa und schaute irgendeinen Film im Fernsehen. Da läutete mein Festnetztelefon. Normalerweise rief so spät niemand mehr an. “Der Opa ist tot”, sagte die Mama. “ Wenn du ihn nochmals sehen möchtest, bevor sie ihn abholen, musst du schnell kommen”.

Rasch schlüpfte ich aus meinem Pyjama hinaus und in meine Jeans hinein. Angezogen hastete ich zur Straßenbahn, weiter mit der U-Bahn. Vor dem Haus stand bereits der Wagen der Bestattung Wien. Zwei Männer mühten sich mit dem Sarg ab. Ich lief an ihnen vorbei, hinein ins Stiegenhaus und zu Fuß drei Stockwerke hinauf. Meine Mama öffnete mir die Türe. Die Oma saß geschockt im Wohnzimmer. Ich ging zu ihr, und dann begleitete sie mich ins Schlafzimmer nebenan.

Opa lag auf dem Bett. Ich nahm seine Hand, die bereits kalt geworden war. Sein Gesicht wirkte friedlich, entspannt. Ich hatte mir den Tod irgendwie anders vorgestellt. Brutaler, gewaltsamer. Aber Opa war aus dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer gekommen, wo Oma fernschaute. Hatte sich mit einer Wasserflasche in der Hand auf den Armsessel gesetzt, es hatte ihn gerissen, die Flasche war zu Boden gefallen, und der Opa war gestorben. Schnell, schmerzlos, so, wie er es sich immer gewünscht hatte.

Opa schaute klein aus, wie er so dalag. Er war auch im Leben nicht groß gewesen, und nun wirkte er noch zierlicher. So würde er besser in den Holzsarg passen, den die zwei Männer von der Bestattung inzwischen ins Vorzimmer gestellt hatten. Ich hatte nämlich gehört, dass da manchmal recht unsanft nachgeholfen werden musste, falls der Mensch zu groß oder der Sarg zu klein war.

Ich verabschiedete mich von Opa, wollte ihn am Bett liegend in Erinnerung behalten und mir das Hineingestopfe in die Holzkiste ersparen. Als sein Begräbnis stattfand, konnte ich nicht kommen. Ich war auf Bali, diese Reise war schon lange zuvor gebucht worden. Opa hätte sicher nichts dagegen gehabt, dass ich fliege.

Opa war bis jetzt der einzige Tote, den ich, abgesehen von diversen Haustieren, die man von ihren Qualen erlöste, gesehen habe. Und sein Anblick hat mich ein bisschen versöhnt mit dem Unversöhnlichen. Wenn ich einmal sterbe, würde ich mir wünschen, dass ich diese Welt so verlasse, wie Opa es getan hat: schnell und schmerzlos.

© Sabine Doods 2022-03-13

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